Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
Vom Netzwerk:
die ich frohgemut auf Französisch mit dem Chef des tunesischen Sicherheitsdienstes führe, verschaffen uns schließlich doch die Dreherlaubnis in Tunesien: in Tunis selbst, dann in Monastir sowie in Douz in der Sahara. Aber ich kann jetzt besser verstehen, warum so viele Tunesier sich beklagen über die autoritär-totalitäre Dauerherrschaft von Präsident Ben Ali (seit 1987). Immerhin kann ich an der Académie tunisienne des sciences, des lettres et des arts (Beit al-Hikma) am 26. November 1998 einen Vortrag halten zum Thema »Projet d’éthique planétaire«.
    An diese schwierige Geschichte erinnere ich mich, als in Tunis im Jahr 2011 die Revolte der Jugend ausbricht, in der Folge der Selbstverbrennung des MOHAMED BOUAZIZI , eines Studenten, der sein Geld als Gemüsehändler verdienen muss, aber von der Polizei misshandelt und in den Tod getrieben wird. Mithilfe des Internets und der sozialen Netzwerke beginnt auf diese Weise der »Arabische Frühling« in Tunesien, aber auch in Ägypten und Libyen. Autoritäre Herrscher wie Ben Ali, Mubarak und Gaddafi hatten das Vertrauen des Volkes verloren und müssen für ihre undemokratische und oft grausame Herrschaft teuer bezahlen. Gaddafi wird von Aufständischen umgebracht, Mubarak steht vor Gericht, und Ben Ali, der nach Saudi-Arabien floh, wird mehrfach in Abwesenheit verurteilt. Aber auch die neu durch demokratische Wahlen an die Macht Gekommenen können das Vertrauen des Volkes schnell wieder verlieren, wie sich dies im Juli 2013 in Ägypten bei der dramatischen Absetzung des islamistischen Präsidenten MOHAMMED MURSI zeigt.
    Lange Zeit hat man behauptet, Islam und Demokratie würden sich gegenseitig ausschließen. Die Menschenrechte werden in der Tat mit Berufung auf das islamische Gesetz vor allem Frauen und Nichtmuslimen vorenthalten. Aber es gibt in der islamischen Welt auch positive Entwicklungen. Ich hatte schon lange auf einen Wandel gewartet, nicht zuletzt aufgrund meiner Erfahrungen in der Türkei.
    Das Laboratorium für islamische Demokratie: Türkei
    Die ganze islamische Welt verfolgt schon seit Langem mit großer Spannung die Entwicklung in diesem strategisch wichtigen Land, wo nach dem Ersten Weltkrieg der Islam eine radikale Reform zu überstehen hatte, wo aber nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems auch die Grenzen der kemalistischen Säkularisierung sichtbar werden. Ich habe sowohl der meines Erachtens unumgänglichen Revolution unter KEMAL ATATÜRK wie auch dem Umschwung unter RECEP TAYYIP ERDOGAN in meinem Islambuch ausführliche positive Kapitel gewidmet.
    Meine Bestürzung ist deshalb groß, als ich im Juni 2013 – ich lege gerade letzte Hand an das Manuskript dieses Bandes – über die Medien miterlebe, wie hilflos und stur Erdogan mit der Protestbewegung in der Türkei umgeht. Die berechtigten Forderungen hunderttausender Bürger nach mehr Demokratie und weniger autoritärem Regieren setzt er fatalerweise mit »Terrorismus« gleich. Wirtschaftlich hat Erdogan zweifellos sehr viel für das Land erreicht, doch politisch wird sein Demokratiedefizit im Augenblick der Bewährung nur allzu offenbar. Hoffen wir, dass er nicht tragischerweise zum Totengräber seines eigenen Experiments wird!
    Gerne habe ich auch Einladungen zu Vorträgen in der Türkei angenommen. Eine besondere Ehre bedeutete für mich die Einladung der Stadtverwaltung von Istanbul, wo ich am 17. Februar 2007 vor prominentem Publikum einen Vortrag über Bedeutung und Wirkung des Projekts Weltethos halte. Ich finde dabei besonders viel Verständnis beim zuständigen Minister für religiöse Angelegenheiten Prof.   MEHMET AYDIN und bei Prof.   KENAN GÜRSOY , mit denen ich lange Gespräche führe.
    Ich konnte bei diesen Vorträgen und Gesprächen auch berichten, wie mein Islam-Film seinen krönenden Abschluss gerade hier in Istanbul nimmt: mit großartigen Aufnahmen der Bosporus-Brücke aus dem Helikopter. Damals hatte ich bei der Auffahrt zur Brücke mein Statement zu sprechen, weil man nur von dort die ganze Brücke sieht. Und da war die Polizei von Istanbul so freundlich, für kurze Zeit den Verkehr anzuhalten, damit ich ungestört mein zweiminütiges Statement sprechen konnte. Es ist allerdings sehr schwierig, einen bis aufs Wort vorbereiteten Text ohne Manuskript und Teleprompter so präzis zu sprechen, dass er noch spontan wirkt – und zwar in einem Zug bis zum Ende. Der Verkehr wird also von der Polizei angehalten, ich spreche mein Statement, alles gelingt gut – bis

Weitere Kostenlose Bücher