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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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(2009).
    Natürlich wird man sich beim Lesen der Kapitelüberschrift »Rechenschaft« fragen, vor wem ich denn da Rechenschaft ablegen will. Schulde ich denn überhaupt jemandem Rechenschaft? Über mein privates, persönliches Leben jedenfalls nur dem Einen, von dem im Römerbrief des Apostels Paulus die Rede ist: »Es wird also jeder für sich selber Rechenschaft ablegen müssen – vor Gott« (Röm 14,12). Doch habe ich ja nun auch immer als öffentliche Person gelebt und gewirkt, war oft ein »umstrittener« Theologe, wurde von meiner eigenen Kirchenleitung mehrfach zur Rechenschaft gezogen, ja gezwungen und verkörperte für viele einen alternativen Weg des Katholischseins. So habe ich begreiflicherweise ein Interesse daran, dass die amtskirchliche Sicht nicht das Monopol besitzt über die Geschichtsschreibung und die öffentliche Meinung.
    Aber letztlich sehe ich meine letzten drei Jahrzehnte in einem durchaus positiven Licht. Ich habe viel Menschlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes erfahren und durfte mich, gegen alle Formen von Unmenschlichkeit, einsetzen für mehr Menschlichkeit in der Menschheit : für die Einheit der christlichen Kirchen, für den Frieden der Religionen, für die Gemeinschaft der Nationen. Und es macht mir schlicht Freude zu berichten, wie sehr vieles sich in meinem Leben und Wirken bei allen Kämpfen hoffnungsvoll entwickelt hat. Dass ich diese Rechenschaft über 33 Jahre noch abschließen kann, konnte ich nicht vorhersagen und ist für mich eine unverdiente Gnade.
    Doch zur Menschlichkeit gehört auch Sterblichkeit. Auch dieser möchte ich mich in diesem meinem letzten Band, und besonders im Epilog, stellen: auch hier die Wahrheit in Wahrhaftigkeit!
     
    Tübingen, im Juli 2013

I. Zu neuen Ufern
    »Seit Beginn Ihres Pontifikats und besonders seit der Erklärung der Glaubenskongregation vom 18.   Dezember 1979 habe ich ja direkt wie indirekt immer wieder dem Wunsch nach einem klärenden Gespräch mit Ihnen Ausdruck verliehen und die Möglichkeit zu lernen wahrhaftig nie ausgeschlossen. Ich bin und bleibe zu einem solchen Gespräch bereit, wann und wo immer Sie es wünschen.«
    Handschreiben an Papst Johannes Paul II. aus Sursee/Schweiz vom 25. August 1980
    Nach der großen Konfrontation mit Rom und dem deutschen Episkopat vom 18. Dezember 1979 bis zum 10.   April 1980 um meine kirchliche Lehrbefugnis, um meinen Lehrstuhl und das Institut für Ökumenische Forschung, drängt sich mir auf: Es wäre sinnlos, täglich Tränen zu vergießen, weil der gegenwärtige Papst mich nicht schätzt und mich nie einer Antwort würdigt. Auch mein »streng persönliches« Handschreiben an den Papst vom 25. August 1980, geschrieben in meinem Schweizer Seehaus, blieb unbeantwortet: Bis zum Tod dieses Papstes im Jahr 2005 wird es nie zu einem persönlichen Briefwechsel oder gar Gespräch kommen – ganze 25 Jahre lang. Doch ein Weiteres kommt hinzu: Meinen Namen in der theologischen Wissenschaft möchte ich keinesfalls auf das Etikett »Unfehlbar?« reduziert wissen; »Papstkritiker« und »Kirchenkritiker« war und wird nicht mein Beruf. Nein, es gilt zu neuen Ufern aufzubrechen! Gewiss, die Verbindung mit der alten Heimat lasse ich nie abreißen. Aber lieber als mich auf die Probleme des römisch-katholischen »Binnengewässers« zu fixieren, will ich mich jetzt noch mehr als früher hinauswagen auf die »Weltmeere« der Religionen und Kulturen.
    Kräfte sammeln: ein »Ketzerschicksal«?
    Ich setze ein, wo ich im zweiten Band meiner »Erinnerungen« aufgehört hatte: im Jahr 1980. Endlich kann ich einen wohlverdienten Erholungsaufenthalt auf der Insel Kreta antreten – die monatelangen Auseinandersetzungen hatten doch an meinen Kräften gezehrt. Welche Freude: im Monat Mai – nach den Erfahrungen meiner sieben römischen Studienjahre der klimatisch angenehmste Monat: warm, aber nicht heiß! – für drei Wochen auf dieser Insel im Süden des Ägäischen Meeres! Schon am Morgen vor dem Frühstück hinausschwimmen in die Bucht, tagsüber noch mehrmals. Auch Wasserski wieder einmal üben. Vor allem aber an der Sonne in aller Ruhe lesen, was ich will, und nicht, was ich muss. »Nichts Schönres unter der Sonne, als unter der Sonne zu sein« (Ingeborg Bachmann).
    Nur wenige Bücher habe ich mitgenommen, darunter auch – doch dies war wohl ein Fehler – ein kenntnisreiches, im Jahr zuvor erschienenes Buch mit dem Titel »Ketzerschicksale . Christliche Denker aus neun Jahrhunderten« (Berlin 1979).

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