Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
nicht wählt, trifft eine Wahl. Stimmenthaltung angesichts dieser Grundfrage bedeutet Vertrauensverweigerung. Faktisch, wenn auch vielleicht nicht gewollt, ein Misstrauensvotum gegenüber Gott.
So habe ich die mir gestellte Grundfrage nach der Vernünftigkeit des Gottesglaubens in meinem Buch beantwortet. Hans Albert aber beantwortet meine Gegenfrage nach der Vernünftigkeit der Vernunft leider nicht. Es ist offensichtlich: Er hat die Basis seines Kritischen Rationalismus nicht genügend kritisch reflektiert. Setzt er doch einfach voraus, ohne es zu beweisen, dass die menschliche Vernunft im Prinzip vernünftig funktioniert! Es ist vor allem diese meine kritische Anfrage, die den Kritischen Rationalisten nervös gemacht hat. In seinem Buch antwortet er denn auch nur mit einem Verdikt: Warum soll das »ein Rückfall in den Klassischen Rationalismus« sein?! Dazu ein dogmatisch anmutendes Frageverbot. Die wenig rationale Antwort eines Rationalisten.
Dabei hat der Schüler Hans Albert seinen Lehrmeister KARL POPPER gegen sich. Diesen konnte ich nämlich dafür zitieren, dass ein »Glauben an die Vernunft« (für mich ein »Grundvertrauen«) Voraussetzung für Wissenschaft ist. Dieses Vernunftvertrauen aber kann nach Popper nicht logisch begründet werden: keine »äußere Rationalität«. Es darf aber nach meiner Überzeugung auch nicht nur postuliert, sondern muss rational verantwortet werden. Seine »innere Rationalität«, so habe ich dargelegt, geht dem Menschen nämlich auf im Vollzug des Denkens selbst. Alberts Rationalismus erscheint mir dagegen als unkritischer »Schleichweg« zur Rationalität der menschlichen Ratio.
Doch dies alles wollte ich nicht erneut darlegen. Und so verzichtete ich auf eine großangelegte Antwort auf Alberts Buch und begnügte mich mit einer ausführlichen Anmerkung in meinem bald darauf erscheinenden »Ewiges Leben?« (Kap. IV, Anmerkung 4). Dabei gebe ich meiner Hoffnung Ausdruck auf eine etwas mehr selbstkritisch fortgesetzte »Diskussion im Geiste gegenseitigen Verständnisses«. Eine solche könnte vielleicht zeigen, dass »theologisches und kritisch-rationalistisches Verhältnis zur Wirklichkeit in der Weise des vertrauenden Sicheinlassens auf diese Wirklichkeit, die unverfügbar bleibt, doch stärker konvergieren, als Alberts Buch es wahrhaben will«.
Doch meine Hoffnung geht nicht in Erfüllung. Hans Albert bleibt bei seiner harschen Kritik und kann es nicht lassen, auch in Zukunft gegen mich zu polemisieren. Schade, auch angesichts der Tatsache, dass ich nun am Ende desselben Jahres 1979 in die große Konfrontation mit den Vertretern kirchlicher Unfehlbarkeit hineingezogen werde, und dies gerade wegen meiner rationalen (nicht-rationalistischen) Kritik an bestimmten Dogmen und Morallehren.
Dass mir persönlich auf diesem Weg gerade von meiner früheren Katholisch-Theologischen Fakultät noch weitere Mühsal bereitet würde, konnte ich freilich nicht ahnen. Von diesem »piccolo mondo chiuso«, dieser »kleinen geschlossenen Welt«, muss ich jetzt nach allem globalen Ausblick leider auch berichten.
Hässliche Nachhutgefechte: Wer darf prüfen?
Durch den in letzter Minute erreichten »Tübinger Kompromiss« vom April 1980 habe ich mir ja nach dreimonatiger Auseinandersetzung das Recht erkämpft, als Mitglied des Promotions- und Habilitationsausschusses der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Promotion und Habilitation meiner Schüler mitwirken zu können. Selbstverständlich gehört dazu auch das Recht, meine Kandidaten zu prüfen. Es war auch die Auffassung von Universitätspräsident Theis, dass meine generelle Mitwirkung an den von mir betreuten Arbeiten nach meiner Bestellung zum Gutachter auch das volle Stimmrecht, das jedem Gutachter an der Universität zukommt, einschließe. Dieser Auffassung hatte damals niemand widersprochen. Von einer Einschränkung meines Prüfungsrechts war nie die Rede.
Aber einmal mehr wollen sich die kirchlichen Autoritäten mit dieser fairen Lösung nicht abfinden; sie möchten meinen Einfluss in der Universität in jedem Fall minimieren: Ich könne, wendet der Bischof von Rottenburg bei meinem nächsten Promotionsverfahren überraschenderweise ein, für die Prüfung meiner eigenen Kandidaten nicht als Prüfer tätig sein. Ob der Bischof selber oder Rom oder Mitglieder der Fakultät die Akteure sind, den erreichten Kompromiss zu hintertreiben, weiß ich wie immer bei solchen undurchsichtigen »kirchlichen« Manövern nicht. Jedenfalls
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