Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
in eine inquisitorische Überprüfung übergeht.
Doch unterdessen hat ein neues Hochschulgesetz Habilitation und Ernennung zum Privatdozenten (Befugnis zur Vorlesungstätigkeit) entkoppelt, sodass Dr. Häring im Juni 1978 trotz bischöflicher Verzögerung von der Katholisch-Theologischen Fakultät, der ich in dieser Zeit noch angehöre, habilitiert wird. Aber am 11. Juli 1978 teilt der Bischof der Fakultät mit, vor der Erteilung des »nihil obstat« zu einer Privatdozentur müsse er bei einem Gremium der Bischofskonferenz ein Gutachten einholen, da es sich bei Häring um einen Nicht-Priester handle; später stellt sich heraus, dass dieses Gutachten von den Kardinälen Höffner, Ratzinger und Volk erstellt wird – nicht gerade Küng-Freunde. Im Blick darauf führen Bischof Moser, der Generalvikar und der Domdekan am 10. Februar 1979 ohne alle Vorinformationen ein strenges, fast zweieinhalbstündiges Gespräch mit Dr. Häring: über Fragen der Christologie (Konzil von Chalkedon), Vollmacht kirchlichen Redens, Papsttum, Priestertum und Ökumene. Zum Schluss ermahnt der Bischof Dr. Häring, eine »selbstständige« (will sagen: von Küng unabhängige) Theologie zu entwickeln. Ein Protokoll wird erstellt, und darüber hinaus muss Häring noch zu Händen des Bischofs am 17. März 1979 eine Erklärung von sechs Seiten schicken.
Mitte Juni 1979 jedoch erfährt Häring, die Gutachter-Kardinäle Höffner, Ratzinger und Volk seien zu einem negativen Ergebnis gekommen und Rom habe sich dem negativen Gutachten angeschlossen, sodass eine Zulassung Härings zur Privatdozentur nicht infrage komme. Bischof Moser gelingt es indessen mithilfe eines freundlichen Gutachtens von Professor WALTER KASPER , die Glaubenskongregation zu einem Kompromiss zu bewegen, der für Häring freilich ungünstig ist: zwar Zulassung zur Privatdozentur, aber eine Professur wird faktisch ausgeschlossen. Im Grunde also ein Lehrstuhlverbot, welches denn auch faktisch Folgen haben wird: Trotz überragender Fähigkeiten und bedeutender Publikationen Härings wagt es keine einzige der fünf deutschsprachigen Fakultäten, bei denen er sich in den kommenden Jahren bewirbt, ihn auch nur auf die Liste zu setzen – von einer Berufung ganz zu schweigen. Es kommt vor, dass ein Bischof sogar schon vorher diesbezüglich bei Fakultät oder Kultusministerium interveniert.
Kann noch deutlicher demonstriert werden, von welchem Angstkomplex die übermächtigen römischen und deutschen Machthaber in der Kirche besessen sind – angesichts eines einzigen jungen Theologen? Doch Hermann Häring hat Glück. Am 24. Januar 1980 – mitten in den Auseinandersetzungen um meine kirchliche Lehrbefugnis – kann er in Tübingen seine Antrittsvorlesung zum Thema »Erlösung – wovon?« halten. Im Frühjahr darauf bewirbt er sich auf Anregung unseres Freundes Professor EDWARD SCHILLEBEECKX in den Niederlanden: für einen Dogmatiklehrstuhl an der Katholischen Universität Nijmegen (Nachfolge von Piet Schoonenberg). Der zuständige Erzbischof von Utrecht, Kardinal JOHANNES WILLEBRANDS , beweist in diesem Fall Mut: Nach einem Gespräch mit Häring gibt er seine Zustimmung, da er ja über eine kirchliche Lehrbefugnis schon verfüge und man in den Niederlanden den Unterschied zwischen Privatdozent und Professor nicht kenne.
Natürlich legen Rom und der päpstliche Nuntius sofort Beschwerde ein und verlangen vom Primas der Niederlande die Rücknahme der Berufung Härings, obwohl das rechtlich kaum möglich ist. Doch Willebrands, ein ehemaliger Kurienkardinal, reagiert »modo Romano«: Er lässt die vorgegebenen Termine schlicht verstreichen und erklärt schließlich, er habe den entscheidenden Brief von Rom gar nicht erhalten. An Häring schreibt er, er werde sich um eine Kopie dieses Briefes bemühen, da es nicht klar sei, welche Forderungen Rom an Professor Häring stelle. Doch diese Kopie erhält Häring nie. Ab April 1981 kann er unbehelligt an der Universität Nijmegen arbeiten. Nach der Emeritierung von Edward Schillebeeckx (1983) fällt ihm faktisch auch dessen Lehrstuhl zu. So wirkt nun Häring 25 Jahre an der Universität Nijmegen als hoch angesehener Lehrer der Theologie, und einige Jahre auch als Dekan der Fakultät – bis zu seiner Emeritierung (2005), nach der er mit seiner Frau Inge in sein geliebtes Tübingen zurückkehrt. 1998 hatte er eine Einführung in meine Theologie vorgelegt: »Hans Küng. Grenzen durchbrechen«, eine der besten Gesamtdarstellungen
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