Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Katholisch-Theologischen Fakultät ein eigenes Seminar über »Wissenschaftstheorie und Theologie« durchgeführt. Es könne der Theologie nur helfen, so habe ich in meinem Buch ausgeführt, wenn sie sich darum bemühe, die Probleme möglichst eindeutig zu formulieren, sich über ihre spezifischen Methoden Klarheit zu verschaffen, Begriffe zu präzisieren und die verschiedenen vorgeschlagenen Lösungsversuche kritisch zu untersuchen. Kurz, wenn die Theologie zumindest an der Universität Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben will, muss sie nicht irrational oder nur emotional, sondern rational , das heißt kritisch und in intellektueller Verantwortung betrieben werden.
Doch andererseits meine ich mich dagegen wehren zu müssen, dass moderne Naturwissenschaftler und Philosophen ihre Resultate illegitimerweise generalisieren, sodass für einen Gottesglauben kein Platz mehr bleibt und dieser praktisch weithin durch Wissenschaftsglauben ersetzt wird. Ein Ja also zur kritischen Rationalität , aber ein Nein zu einem ideologischen Rationalismus , der das Rationale verabsolutiert und so selber dogmatisch und intolerant werden kann. Darüber sollte man vernünftig diskutieren können.
Der Rationalist Hans Albert nun, höre ich später von ihm, sieht mein Buch gleich nach Erscheinen in einer Münchner Buchhandlung und kauft es sofort; meine Fundamentalkritik des Kritischen Rationalismus erregt ihn aufs Höchste. Er beginnt dagegen anzuschreiben, und das Resultat ist das Buch, dessen Titel er in Anlehnung an Karl Marx formuliert: »Das Elend der Theologie. Kritische Auseinandersetzung mit Hans Küng« (Hamburg 1979). Ich bin gespannt, wie er diese kritische Auseinandersetzung durchführt.
Am 26. Mai 1981 empfängt sein Lehrmeister KARL POPPER im Festsaal der Universität Tübingen den Leopold-Lucas-Preis und hält einen Vortrag über »Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortung« 9 . Dieser jährlich verliehene Preis trägt den Namen des unter der Naziherrschaft umgekommenen Rabbiners Dr. Leopold Lucas und wurde von dessen Sohn gestiftet. Im Anschluss an die Preisverleihung findet im benachbarten Bebenhausen ein festliches Abendessen statt, und mir gegenüber sitzt Hans Albert in Person. Wir unterhalten uns glänzend und lachen nicht wenig. Er hätte sein Buch wohl anders geschrieben, meint er schließlich, wenn er mich zuvor persönlich gekannt hätte.
In der Tat: Hätte Hans Albert sein Buch nur nicht so übereilt geschrieben! So wurde es mehr eine breit kommentierende Rezension als eine an den neuralgischen Punkten präzis argumentierende Auseinandersetzung. Manches erscheint eher von Emotionalität statt von Rationalität angetrieben, alles in der überlegen ironischen Attitüde des Wissenden. So erweist sich der Kritiker von »Existiert Gott?« wenig fähig, meine Auffassung auch nur sachgemäß darzustellen. Und auf all das soll ich jetzt sachgemäß antworten, soll von vorn bis hinten unrichtige oder schiefe Interpretationen richtigstellen und meine wissenschaftliche Arbeit unterbrechen? Ein höchst undankbares Geschäft, wie ich es vor nicht allzu langer Zeit im großen Band »Fehlbar? Eine Bilanz« (1973) mit hohem Aufwand an Zeit und Denkarbeit betrieben hatte, um auf alle echten und unechten Schwierigkeiten der Unfehlbarkeitsapologeten detailliert zu antworten.
Anfrage an den Kritischen Rationalismus
Allzu oft rennt der Kritische Rationalist offene Türen ein. Mir blieb ja stets bewusst, dass gerade in Europa und Nordamerika viele Menschen – aus welchen Gründen auch immer – nicht religiös sind: Skeptiker, Agnostiker, Atheisten, Rationalisten aller Art. Ich meinerseits bin alles andere als ein religiöser Schwarmgeist, Traumtänzer, Enthusiast, bin allerdings auch kein Rationalist. Natürlich hat Albert recht, dass der Mensch angesichts der Frage »Existiert Gott?« – psychologisch gesehen – mehrere »Optionen« hat: Er kann ihr ausweichen, sie hinausschieben oder schlicht verdrängen. Aber grundsätzlich philosophisch gesehen – so argumentierte ich in meinem Buch im Anschluss an Pascal und Sartre – gibt es nur die eine Alternative: Der Mensch hat sich zu entscheiden – ohne intellektuellen Zwang, aber auch ohne strikten rationalen Beweis – für ein Ja oder ein Nein zu Gott. Entweder der Mensch wagt ein (vor der Vernunft verantwortbares und deshalb durchaus vernünftiges) Vertrauen auf eine Erste-Letzte Wirklichkeit, oder eben nicht. Beides ein Wagnis, beides ein Risiko. Auch wer
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