Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Gnade vor.« Bede Griffiths verbindet in seinem Denken überzeugend Inkulturation und ökumenischen Dialog mit Kirchenreform.
Ermutigt fühle ich mich durch den offenen ökumenischen Geist, den ich im Juli 1971 etwa in Bangalore, heute die drittgrößte Stadt Indiens, wahrnehme: Bei Pfarrer IGNATIUS ANTHAPPA , bei dem ich durch Vermittlung zweier Schweizer Theologinnen in einem Armenviertel wohne, freilich entsetzt über die miserable Lage der vielen Mädchen, die vielerorts in Untergeschossen eingepfercht Stoffe weben müssen. Oder beim aufgeschlossenen Erzbischof LOURDUSAMY und seinem Bruder AMALORPAVADAS , geistiger Inspirator und intellektueller Kopf, Direktor des National Biblical, Cathechetical and Liturgical Centre. Oder bei Dr. CHANDRAN , dem ökumenisch gesinnten Rektor des protestantischen United Theological College. An verschiedensten Orten halte ich Vorträge und Diskussionen – ein gedrängtes Programm, aber von einem begeisterten Publikum getragen. Doch schon bald wird die Erneuerung gebremst: Amalorpavadas stirbt plötzlich, und sein Bruder wird nach Rom berufen an eine vatikanische Kongregation, wird Kardinal und schließlich gut römisch gesinnt … Beide hatten keine kongenialen Nachfolger.
Vergessen sei in diesem Zusammenhang aber auch nicht jene deutsche Ärztin, die bei Tiruchirapalli mit großem Erfolg ein Spital leitet, das ich ebenfalls besuche. Beispielhaft ihr Leben im Dienst an den armen Menschen, wie es Hunderte von christlichen Ärztinnen und Ärzten und Krankenschwestern und Pflegern in aller Welt leben und so manches Versagen der christlichen Mission durch ihre segensreiche Tätigkeit aufwiegen.
Doch eine einzigartige Gelegenheit, gerade den Hinduismus in seinen verschiedenen Ausgestaltungen kennenzulernen, ist für mich Ende der 1990er-Jahre jene Fernsehserie »Spurensuche«, deren zweiter Film ausschließlich dem Hinduismus gewidmet ist. In STEPHAN SCHLENSOG habe ich, wie berichtet, einen hoch talentierten und absolut loyalen Mitarbeiter, der Indien-Erfahrung besitzt, Indologie und Sanskrit studierte und die gewaltige Aufgabe übernommen hat, eine Dissertation über die Paradigmenwechsel in der indischen Religion zu erarbeiten. Dafür braucht er viele Jahre, nicht zuletzt weil er mich auf die nun anstehenden Filmdrehreisen durch alle Kontinente begleitete und dabei freilich eine Fülle wertvoller Erfahrungen sammelte. Im Jahr 2005 wird er schließlich zum Doktor der Theologie promoviert, und im Jahr darauf erscheint sein 540 Seiten zählender Band » Hinduismus . Glaube, Geschichte, Ethos« (Piper, München).
Folgendes Faktum bereitete mir am Anfang Schwierigkeiten: Anders als Judentum, Christentum und Islam kennt der Hinduismus weder Gründergestalt noch Gründungsereignis. Wo sind seine Ursprünge zu suchen?
Die Ursprünge des Hinduismus
Am liebsten hätte ich den Film mit einer Luftaufnahme des Industals, im heutigen Pakistan, beginnen lassen, das den »Indern« den Namen gegeben hat. Hier war ja neben Ägypten und Mesopotamien die dritte große Wiege der menschlichen Hochkulturen. Diese Induskultur hatte schon im 3. bis 2. Jahrtausend v. Chr. ihre Blüte. Sie hatte ebenfalls eine Schrift hervorgebracht, die aber bisher außer einigen wenigen Worten nicht entziffert werden konnte. Wir kennen diese Kultur aus den gefundenen Waffen, Gebrauchsgegenständen aller Art und vor allem durch mehrere Tausend Siegel aus Steatit (Speckstein), die zumeist in den Städten Mohenjo-Daro und – dieser Ort gab der Kultur den Namen – Harappa gefunden wurden.
Ob und inwieweit diese Harappa-Kultur eine Vorstufe der Hindu-Religion darstellt, ist umstritten. Vieles ist ungeklärt, etwa jene gehörnte Gottheit, die sich in unterschiedlichen Posen auf den Siegeln findet: einmal auf Bäumen sitzend, einmal in der Haltung späterer Yogis, manchmal vielleicht sogar mit aufgerichtetem Phallus, weshalb manche Forscher in ihm einen Vorläufer des späteren Hindugottes Shiva sehen. Möglicherweise gingen bestimmte Meditationstechniken, Elemente des Fruchtbarkeitskultes, die Verehrung der Sonne und rituelle Reinigungen auf diese frühe Induskultur zurück.
Leider muss ich aus finanziellen und zeitökonomischen Gründen auf das Filmen der Ruinenstädte – mehr kann man ohnehin nicht sehen – verzichten. Daher setzt unser Film im oberen Gangestal ein, bei der Stadt Haridwar (214 km nordöstlich von Delhi), wo die junge Ganga aus dem Himalaja-Gebirge in die Tiefebene eintritt. Eine der
Weitere Kostenlose Bücher