Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Lebensgrundlagen, rücksichtslose Zerstörung der Biosphäre, Militarisierung des Kosmos sind ein Frevel« (WEE III, 1 D).
Doch es war auch für mich ein langer Weg von meiner ersten Indienreise 1964 bis zu dieser Formulierung drei Jahrzehnte später. Ja das christliche Europa überhaupt braucht viele Jahrhunderte, um zu einem tieferen Verständnis indischer Geistigkeit und Religiosität zu gelangen. Damit war Selbstkritik verbunden:
Kein christliches Wahrheits- und Heilsmonopol
Zu Indien verfügen wir erst seit der europäischen Neuzeit über wissenschaftlich brauchbare Informationen. Im nahöstlich-prophetischen Religionssystem wusste man nur wenig Gesichertes über das indisch-mystische. Es waren im 16./17. Jahrhundert besonders die in Asien wirkenden Jesuiten , die seriöse Information nach Europa sandten. Über Indien erfuhr man nach FRANZ XAVER vor allem von ROBERTO DE NOBILI . So wie der andere italienische Jesuit MATTEO RICCI sich in China wie ein chinesischer Gelehrter kleidete und benahm und sich das Mandarin-Chinesisch aneignete, kleidete sich de Nobili im indischen Madurai als Sannyasi, lebte wie ein Hindu-Asket und studierte Tamil, Telugu und Sanskrit. Die ersten Sanskrit-Grammatiken stammten von Jesuiten, und wie sie leisteten auch spätere christliche Missionare philologische Pionierarbeit in der Erforschung indischer Sprache und Religion.
Dass ich schon im November 1964 Indien kennenlernen durfte, verdanke ich ebenfalls einem Jesuiten, der aus dem österreichischen Vorarlberg stammt: P. JOSEF NEUNER. Seit meiner römischen Studienzeit ist er mir bekannt als Herausgeber des Standardwerks katholischer Theologenausbildung »Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung« (seit 1938 immer wieder aufgelegt). Von 1939 bis 1946 in einem britischen Lager in Indien interniert, hatte Neuner Sanskrit erlernt und die Bhagavadgita und die Upanishaden studiert. Seit 1948 hatte er Theologie am damals neu gegründeten De Nobili College in Puna unterrichtet. Er war mit mir theologischer Peritus (Experte) beim Zweiten Vatikanischen Konzil, und er war es gewesen, der mich in der zweiten Session 1963 zu meiner großen Überraschung und Freude nach Indien zu einem großen Symposion von etwa 200 katholischen Theologen zur Diskussion der neuen vom Konzil beeinflussten Problemlage nach Bombay eingeladen hatte – unmittelbar vor dem Eucharistischen Weltkongress und dem Besuch Papst PAULS VI. Ich habe davon berichtet (Bd. 1, Kap. IX: Indien – Christenheit als Minderheit), wie schon mein Vortrag vor der Indischen Bischofskonferenz beim Konzil gut aufgenommen worden war und ich daraufhin vom Erzbischof von Bombay, Kardinal VALERIAN GRACIAS , in aller Form nach Bombay eingeladen wurde, um über »Die Weltreligionen in Gottes Heilsplan« zu sprechen.
Das Schicksal der ersten Jesuitenmissionare will mir seither nicht aus dem Kopf: Sowohl Ricci wie de Nobili wollten die christliche Verkündigung und Liturgie der chinesischen oder indischen Mentalität und Kultur anpassen. Inkulturation oder Indigenisierung nennt man das heute. Ganz in der Nachfolge des Apostels Paulus, der ausdrücklich den Hebräern ein Hebräer und den Griechen ein Grieche sein wollte (1 Kor 9,19 – 23), hatten diese klugen und hoch motivierten Männer versucht, das Christentum in diesen fremden Welten zu inkulturieren. Wer weiß, wie es in China und Indien mit dem Christentum weitergegangen wäre, wenn ihre Nachfolger nicht gestoppt worden wären. Gestoppt von anderen konkurrierenden Orden und von Rom, wo man schließlich die Anpassungsstrategie der Jesuiten an die Chinesen und Inder als eine Bedrohung der römisch-lateinischen Machtposition ansieht. Und so hatte die römische Inquisition nach mehrfachem Einschreiten 1742 unter Papst BENEDIKT XIV. »definitiv« den Gebrauch der chinesischen Gottesnamen und Riten verboten, zwei Jahre später auch der indischen (malabarischen). Wie schon im Fall Galilei hatte sich das römische Lehramt als unbelehrbar erwiesen und trägt für das Scheitern der christlichen Mission in China und Indien die Hauptverantwortung. Als rund 350 Jahre nach Riccis Tod Papst PIUS XII. 1940 jene »definitiven« Dekrete gegen die chinesischen und indischen Gottesnamen und Riten im Sinne Riccis und de Nobilis revidiert, kommt er 350 Jahre zu spät. Nicht das Christentum Roms, sondern der Kommunismus Mao Zedongs steht vor seinem definitiven Sieg.
In meinem Vortrag in Bombay 1964 vergleiche ich zunächst
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