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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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die tolerante Auffassung des renommierten indischen Religionsphilosophen SARVEPALLI RADHAKRISHNAN , Indiens erstem Staatspräsidenten, mit der rigorosen katholischen Formulierung des Dogmas »Außerhalb der katholischen Kirche kein Heil« durch Papst BONIFAZ VIII. (1302) , der allein die dem Papst unterworfene »Kreatur« zum ewigen Heil zulassen will. Gegen diesen mittelalterlichen Monopolanspruch der »allein selig machenden« katholischen Kirche auf Wahrheit und Heil nehme ich Stellung und berufe mich auf die universale Heilsperspektive der Hebräischen Bibel im Buch Genesis und des Neuen Testaments bei Paulus und in der Apostelgeschichte. Wie wir sahen: Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Möglichkeit der Erlangung des Heils für jeden Menschen, katholisch oder nicht, in der Konstitution über die Kirche ausdrücklich betont. In der wesentlich von JOSEF NEUNER mit inspirierten Erklärung »Nostra aetate« über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen wird dies voll und ganz bestätigt. Meines Erachtens muss deshalb nicht nur den einzelnen Nichtchristen, sondern auch den Weltreligionen als solchen – trotz all ihrer Ambivalenz – eine Funktion im Heilsplan Gottes zugeschrieben werden.
    Schon 1965, zum Ende des Konzils, erschien mein Bombay-Vortrag als »Theologische Meditation« unter dem Titel »Christenheit als Minderheit« . Doch JOSEPH RATZINGER , mit mir Konzilstheologe, begeht den katastrophalen Fehler, im Jahr 2000 als oberster Glaubenshüter und vatikanischer Chefideologe, in der Erklärung »Dominus Iesus« die katholische Kirche erneut im mittelalterlichen Stil als »perfekte« Größe mit absolutem Wahrheitsanspruch und Heilsmonopol den unvollkommenen, »defizitären« Weltreligionen entgegenzusetzen (und dabei auch den evangelischen Kirchen das Kirchesein abzusprechen).
    Ich habe mir immer gedacht: Hätte mein Kollege, statt mit Vorliebe im geschützten Bayern und Rom zu weilen, sich mehr in der weiten Welt umgesehen und wäre er auch später als Glaubenswächter nicht einfach im klerikalen Milieu von Bischofshaus zu Bischofshaus weitergereicht worden, sondern hätte sich etwa in Indien unter die 1,2 Milliarden Menschen begeben, von denen 80,5 Prozent Hindus und 13,4 Prozent Muslime sind, die Christen aber nur 2,3 Prozent ausmachen 1 , dann hätte er existenziell erfahren können, dass die römisch-katholische Kirche im Blick auf die Gesamtmenschheit nur als kleine Minderheit erscheint, der es gut anstünde, sich in ihren Ansprüchen zu bescheiden. Dies gilt nicht zuletzt für die Gottesfrage:
    Polytheismus oder Monotheismus?
    Ich weiß die gewaltigen künstlerischen Leistungen der Architekten, Bildhauer und Maler des europäischen Barock und Rokoko durchaus zu schätzen. Das hindert mich nicht an einer kritischen Distanz. Und ob ich mich nun gerade in der schönsten bayerischen Wallfahrtskirche in der Wies befinde oder in der noch großartigeren von Maria Einsiedeln in der Innerschweiz, oder auch in der römischen Jesuitenkirche San Ignazio, wo ich als Student an zahllosen barocken Zeremonien teilgenommen habe: Diese mit unzähligen Heiligen und Engeln bevölkerten und von der göttlichen Dreifaltigkeit dominierten Prachtkirchen in Ehren – aber bestimmt würde kaum einer der vielen indischen Touristen bei deren Betrachtung auf die Idee kommen, die bayerischen, schweizerischen, römischen Katholiken seien strikte Monotheisten. Sie nennen zwar ihre Engel und Heiligen nicht Götter, viele beten die »Gottesmutter« nicht an, sondern »verehren« sie nur durch Gebete und Darbringungen. Aber praktisch ist der Unterschied oft gering zur Verehrung all jener göttlichen Gestalten, welche die Inder als »Devas«, als Gottheiten untergeordneten Ranges, »anbeten«.
    Umgekehrt verstehen sich viele Hindus aus gutem Grund als Monotheisten: Sie glauben an eine einzige göttliche kosmische Kraft, an das eine Uranfängliche, Absolute, umfassend Göttliche, und verbinden dies oft je nach Glaubensrichtung mit einer ganz bestimmten Offenbarungsgestalt des Vishnu, des Shiva oder der Shakti. Dies würdigt das Zweite Vatikanische Konzil im Religionendekret mit der Formulierung, die auf P. Josef Neuner zurückgeht: »So erforschen im Hinduismus die Menschen das göttliche Geheimnis und bringen es in einem unerschöpflichen Reichtum von Mythen und in tiefdringenden philosophischen Versuchen zum Ausdruck und suchen durch asketische Lebensformen oder tiefe Meditation oder liebend-vertrauende

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