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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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heiligsten Stätten Indiens, seit alter Zeit ein berühmtes Pilgerzentrum. »Haridwara« bedeutet »Tor des Hari«: »Hari« – ein anderer Name für den Gott Vishnu, der hier seine Fußspur hinterlassen haben soll. Dort bekommen wir einen lebendigen Eindruck von der Vielfalt hinduistischer Frömmigkeit.
    Der Hinduismus erscheint ja selbst wie der Ganges , der »Fluss des Lebens«, wie er so dahinfließt, langsam und doch unaufhaltsam, ruhig, aber manchmal stürmisch und mitreißend, immer derselbe und sich doch ständig verändernd. Auch der Hinduismus hat epochemachende Veränderungen durchgemacht, in denen ein ganzes Weltbild abgelöst wurde durch neue revolutionäre Denkanstöße. Zwischen 1700 und 1200 v. Chr. war ein ganz anderes Volk nach Nordindien eingedrungen, nomadisierende Stämme, die sich »Arya«, die »Edlen«, nannten. Sie kamen vermutlich über die iranische Hochebene und waren im südlichen Zentralasien beheimatet wie damals auch die Vorfahren der Germanen, Kelten, Slawen, Balten und auch der Romanen und Griechen – alles Indoeuropäer, die zur selben großen Sprachfamilie gehören. Zuerst im oberen, dann im unteren Gangestal bildeten die Arier städtische Zentren, ein ausdifferenziertes Sozialsystem und eine hoch entwickelte Infrastruktur. Als hellhäutige Menschen, die bereits über Eisentechnik und über Pferde verfügten, fühlten sie sich der dunkelhäutigen Bevölkerung überlegen. Wir filmen vor allem in diesem nördlichen Teil Indiens, von dem die neuen Impulse ausgingen.
    Am Ganges beobachte ich immer wieder Menschen, die fromm eine Waschung vollziehen. Warum kommen sie hierher? Hier, am heiligsten der Flüsse Indiens, bei der Mutter Ganga, kann der Mensch – durch völliges Untertauchen ins Wasser und der anschließenden Wasserspende an die Sonne – nicht nur den Leib, sondern auch den Geist reinigen, um so gleichzeitig körperliche Reinigung und spirituelle Heiligkeit zu erlangen. So etwas wie ein hinduistisches Sakrament? Jedenfalls ein Reinigungsbad, das bei allen Parallelen nicht zu verwechseln ist mit der christlichen Taufe. Diese kann man sich ja nicht selber spenden, und diese darf auch nicht – weil damit die Aufnahme in die christliche Glaubensgemeinschaft verbunden ist – wiederholt werden. Bei allen äußeren Ähnlichkeiten der Riten muss immer wieder auch auf deren innere Unterschiede geachtet werden.
    Die Veden als Grundlage
    Eine der Stärken des Hinduismus: Er präsentiert sich, für viele Europäer unerwartet, als fröhliche, lebensbejahende Religion. Deshalb beginnt unser Film mit dem Holifest zum Abschluss der Winterernte – eine prachtvolle Ouvertüre. Ein frühlingshaftes Fest der Lebenserneuerung, bei dem sich die Menschen ausgelassen mit rotem Wasser und wohlriechendem Pulver bewerfen. Eine uralte Volksreligiosität, wohl aus Fruchtbarkeitskulten hervorgegangen, wie sie vor allem in den Dörfern lebendig geblieben ist. Gottesbegegnung also nicht nur, wie in unseren Vorstellungen oft mit dem Hinduismus verbunden, in Stille, Meditation und Verinnerlichung, sondern vielmehr in orgiastischer Festlichkeit, mit Tanz und Lärm. Verbreitet auch die Darbietungen mimischer Tänze, etwa des Krishna, des beliebtesten Hindu-Gottes, mit seiner geliebten Radha, oft als ewiges kosmisches Liebesspiel Gottes mit der individuellen Seele interpretiert. Eine Vorstellung, wie sie sich in der Mystik vieler Religionen findet. Und mit genau festgelegten Bewegungen vor allem der Augen und Hände, wie ich sie später bis nach Thailand und Indonesien wiedererkennen kann.
    In unserem Film geben wir natürlich auch einen Einblick in die Heiligen Schriften Indiens, aufgenommen im großen spirituellen Zentrum Shantikunj bei Haridwar, einer Akademie von 2000 Studenten, in leuchtendes Gelb gekleidet, die zu Lehrern ausgebildet werden. Sie wollen sich wieder auf ihre Ursprünge konzentrieren. Der »Veda« , das heilige »Wissen« , ist das früheste Zeugnis arischer Kultur, später in vielen Schriften gesammelt, harmonisiert und systematisiert, noch heute in vier Sammlungen erhalten. Von ihnen ist die berühmteste der »Rigveda« (»Wissen der Verse«), entstanden zwischen 1700 und 1500 v. Chr. im Industal – zusammen mit dem Wissen der Gesänge, der Opfersprüche und der magischen Texte.
    Im Rigveda sind die Grundlagen der vedischen Religion enthalten. Sie verstehe ich als das erste Paradigma des Hinduismus. Die Veden zusammen mit den interpretierenden Schriften (etwa sechsmal so lang

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