Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Kommunistischen Partei Chinas Widerstand entgegenzusetzen und wie im Vatikan auf den Zusammenbruch des Kommunismus in China zu warten. Jin entwickelt sich rasch zum geistigen Führer derjenigen chinesischen Katholiken, die nicht auf unabsehbare Zeit im Untergrund leben wollen. Wurde er damit zum »gelben Papst«, wie es DORIAN MALOVIC im Titel seiner französischen Biographie »Le pape jaune« (2006) suggeriert? Gerade nicht: Er hat immer an der Autorität des Papstes festgehalten, aber er weiß auch, dass die chinesischen Katholiken in Zukunft ihren eigenen Weg finden und leben müssen. Er vertritt anders als die Rom ergebene Untergrundkirche nicht das Kirchenbild des Vatikanums I, sondern des Vatikanums II: Er sorgt für eine reformierte Liturgie in chinesischer Sprache und für Bibeln und andere Bücher, die ihm nicht von der katholischen, sondern von der evangelischen Kirchenleitung zur Verfügung gestellt werden. Er kennt und schätzt meine Theologie.
Doch in aller Stille versöhnt Jin sich wie auch andere gültig, aber illegitim ordinierte Bischöfe mit Rom. Ich besuche ihn im Jahr 1987 in seinem Priesterseminar bei Schanghai, dessen Leitung er übernommen hatte. Er war 1985 von den Priestern mit Zustimmung des staatlichen Büros für Religiöse Angelegenheiten zum Weihbischof von Schanghai ernannt worden. In meinem Gastsemester 1989 in Houston/Texas lade ich ihn zusammen mit JULIA CHING für eine Konferenz über chinesische Religion vom 1. bis 4. April ein. Er findet mit seinen Ausführungen sehr viel Verständnis, sowohl für seine geistige Haltung wie für seine Kirchenpolitik. In Schanghai hatte er zunächst noch mit dem im alten Geist aufgewachsenen Bischof seine Querelen. Doch 1988 wird er selbst von der Regierung zum offiziellen Bischof von Schanghai ernannt.
Es besteht jedenfalls kein Zweifel, dass die »Patriotische Kirche« mit ihren ungefähr zwölf Millionen Mitgliedern hilfreiche pastorale Arbeit leistet. So wird zum Beispiel in den wenigen Kirchen Pekings eine ordentliche Liturgie möglich, wie ich es 1999 selber in der Südkirche bei den Dreharbeiten für unsere Filmserie »Spurensuche« lebendig erlebt habe. Der Pfarrer der Gemeinde verhält sich zunächst sehr abweisend, und als ich ihm meinen Namen nenne, will er es nicht glauben. Ich überreiche ihm meine Visitenkarte. Er ist verblüfft und schließlich hocherfreut. Er lässt uns sogleich alle Filmaufnahmen machen, die wir wollen.
Bischof Jin Luxian stirbt am 27. April 2013 im Alter von 96 Jahren in Schanghai. Seine Person bleibt eine Aufforderung an den Vatikan, seinerseits endlich alles zu tun, um die chinesische Kirchenspaltung zu überwinden.
Überwindung der chinesischen Kirchenspaltung?
Mit Bischof Jin war ich einig darin, dass Rom seinerseits alles tun sollte, um ein friedliches Arrangement zu erreichen. Immerhin war nun die Zahl der Katholiken in China vermutlich auf 12 bis 15 Millionen angewachsen, und nach Auffassung Jins füllte das Christentum für viele jenes Sinnvakuum, das nach dem Zusammenbruch der maoistischen Ideologie entstanden war.
Artikel 36 der 1982 revidierten chinesischen Verfassung garantiert jedem Bürger der Volksrepublik Religionsfreiheit: »Kein Staatsorgan, keine öffentliche Organisation oder Individuen dürfen Bürger zum Glauben oder Unglauben an eine Religion zwingen. Der Staat schützt legitime religiöse Aktivitäten …« Doch zugleich heißt es, und hier liegt das Problem für den Vatikan: »Keine religiösen Angelegenheiten dürfen von einem fremden Lande dominiert werden.« Das heißt: Diese neue Politik darf nicht wieder zu einer Zulassung europäisch-amerikanischer Mission und ausländischer Dominanz führen. Im Klartext: die »drei Selbst« – Selbsterhaltung, Selbstverwaltung, Selbstausbreitung der chinesischen Kirchen – sind nicht verhandelbar .
Was aber ist verhandelbar ? Verhandelbar wäre vor allem ein neuer Modus der Bischofsernennungen : Wahl durch den Klerus in China mit nachfolgender Bestätigung durch den Vatikan, sozusagen nach dem beschriebenen schweizerischen Vorbild. Viele hatten zunächst angenommen, dass JOSEPH RATZINGER als Papst bald nach Moskau und bald auch nach Peking reisen würde, um zu einer Normalisierung der Verhältnisse beizutragen. Aber auch diese Hoffnung erfüllt sich nicht. Offensichtlich glaubt man im Vatikan immer noch, man könne ohne eigene Zugeständnisse zu einer Verständigung kommen.
Doch wie mit der Französischen Revolution wird sich die
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