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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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katholische Kirche auch mit der Chinesischen Revolution schließlich abfinden müssen. Aber wie? Im Konkordat mit Napoleon gestand Rom zu: Anerkennung der ungeliebten Französischen Republik als rechtmäßige Regierung; Anerkennung des staatlichen Treueeides durch den Klerus; Wahl der (der Regierung genehmen) Pfarrer durch die Bischöfe; Ernennung der Bischöfe durch den Staat und kanonische Institution durch den Papst. Alles dies wurde Frankreich zugestanden. Und was, so meine Frage, kann Rom der Volksrepublik China zugestehen?
    Irgendeine pragmatische Regelung der Probleme muss auch da gefunden werden. Mir ist aufgrund des Schweizer Modells der Bischofswahl deutlich: Es sollten die gültig in China geweihten Bischöfe als legitim anerkannt und die Wahl neuer Bischöfe durch einheimische kirchliche Gremien gestattet werden. Eine »Untergrundkirche« erwiese sich so als überflüssig. Dies ist meines Erachtens nicht nur aus organisatorischen, sondern vor allem aus spirituellen Gründen geboten: Die Priester und Gläubigen der offiziellen wie der inoffiziellen »Untergrundkirche« sollten einander vergeben . Sie sollten das ihnen von außen (vom Vatikan und imperialistischen Mächten) oder von innen (von Regierung, Roten Garden oder voneinander) zugefügte Unrecht und Leid verzeihen. Sie sollten sich miteinander, mit Rom und mit der Chinesischen Revolution versöhnen, um vor der Welt ein Zeugnis christlicher Liebe zu geben, die ganz nüchtern in der politischen Praxis einen Weg eröffnet.
    Ethischer Humanismus: Konfuzius
    Tief verwurzelt in der chinesischen Kultur war jener Humanismus, der sich in einem ersten epochalen Paradigmenwechsel im 6.   Jahrhundert v. Chr. durchgesetzt hat, zu tief, als dass ihn Mao und seine Roten Garden hätten ausrotten können. War es doch der entscheidende Übergang von der magischen Religiosität zur Rationalität, in der dem Menschen und seiner Vernunft Vorrang eingeräumt wird.
    Es bedeutet für mich ein Erlebnis eigener Art, dass ich bei unseren Dreharbeiten zur »Spurensuche« in Qufu in der Stille den von einer zehn Kilometer langen Mauer umschlossenen Waldfriedhof der Familie Kong durchschreiten darf, um schließlich vor dem Grabmal des Meisters KONG FUZI (Konfuzius, ca. 551   –   479 v. Chr.) zu stehen. Ihm hatte ich in meinen Studien besondere Aufmerksamkeit gewidmet und Parallelen zum Leben und Wirken Jesu von Nazaret gezogen. Aber hier an dieser Stelle kam es mir darauf an, für unseren Film das Wesentliche seines Lebens und Wirkens herauszuheben. Deshalb sagte ich in meinem Statement wörtlich:
    »Hier am Grabe dieses großen chinesischen Weisen, wohin früher kaum jemand kam, heute aber täglich Tausende kommen, muss daran erinnert werden: Nicht das Autoritär-Patriarchalische steht im Zentrum seiner Lehre, sondern das wahrhaft Menschliche. Menschlichkeit ( ren ), im Sinne von Zuwendung, Güte, Wohlwollen, ist in den ›Gesprächen‹ des Konfuzius der am allerhäufigsten gebrauchte ethische Begriff.
    Menschlichkeit könnte sehr wohl auch heute Basis sein für ein Grundethos – nicht nur in China, sondern in der Menschheit als ganzer. Menschlichkeit, nach Konfuzius zu verstehen, als ›Gegenseitigkeit‹ ( shu ), als gegenseitige Rücksichtnahme, wie er sie in der Goldenen Regel erklärt: ›Was du nicht wünschst, das tue auch nicht anderen.‹
    Nach der Grundnorm echter Menschlichkeit lassen sich ganz elementar und für alle gültig gut und böse unterscheiden. Denn für die Chinesen gibt es kein ›Jenseits von Gut und Böse‹. Nur zwei Wege gibt es, soll Konfuzius gesagt haben: Menschlichkeit oder Unmenschlichkeit .«
    Wie in diesem Statement angedeutet, geht es uns dabei nicht um das Autoritär-Patriarchale, wie es sich mit einem zweiten Paradigmenwechsel unter der Han-Dynastie (gleichzeitig mit dem Imperium Romanum) in China durchsetzte. Damals wurde der Konfuzianismus zur Staatsdoktrin, und immer mehr Konfuzius-Tempel wurden errichtet. Konfuzius wird zwar nicht vergöttlicht, wohl aber als Identifikationsfigur und Symbol chinesischer Kultur gefeiert. Also die Konfuzianische Staatsreligion (P III) als Chinas »klassisches Zeitalter«.
    Noch in der Han-Zeit (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) kam es zu einer wachsenden gegenseitigen Durchdringung des Konfuzianismus mit dem Daoismus, dem Haupterben der alten chinesischen Volksreligion. Aber einen dritten förmlichen Paradigmenwechsel brachte das Vordringen des indischen Buddhismus im »Goldenen Zeitalter« der

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