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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Tang-Dynastie (618   –   907): der chinesische Buddhismus (P IV). Unter der Song-Dynastie (960   –   1279) erfolgte ein vierter Paradigmenwechsel, der sich in der Erneuerung des Konfuzianismus, heute Neo-Konfuzianismus (P V) genannt, äußerte. Dieser war aber auch später unter den Ming und den Qing nur bedingt fähig, die völlig andere Herausforderung der europäischen Moderne zu verarbeiten. Es folgten vier große revolutionäre Bewegungen (die Taiping-Bewegung, der Boxeraufstand, die nationale Revolution der Jungchinesen und schließlich Aufstieg und Sieg der chinesischen Kommunistischen Partei), die gewaltsam jenen epochalen Paradigmenwechsel zur Moderne (P VI) durchsetzten, der mit dem Namen Mao Zedong verbunden ist. Er führte auch, wie beschrieben, das Christentum in eine abgrundtiefe Krise.
    Das Projekt Weltethos und die chinesische Tradition (1989)
    Meine Hinführung zum Dialog mit Islam, Hinduismus und Buddhismus (»Christentum und Weltreligionen«, 1984) ist Anlass für die UNESCO, ein erstmaliges Kolloquium mit Vertretern aller großen Weltreligionen im Februar 1989 in Paris einzuberufen; es wird von ihm noch die Rede sein (vgl. Kap. X). Die Thematik lautet »Weltfrieden durch Religionsfrieden«, und ich hatte dafür das Grundlagenpapier zu schreiben: »Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden«. Es lag nahe, als Vertreter der chinesischen Religionen den bereits erwähnten Professor LIU SHUHSIEN vorzuschlagen.
    Wie für viele andere steht es für diesen chinesischen Gelehrten außer Frage, dass für den ursprünglichen Konfuzianismus das Humanum stets eine zentrale Grundidee ist – freilich ohne eine jenseitsorientierte religiöse Organisation. Insofern stelle die moderne Säkularisierung für die Chinesen kein besonderes Problem dar. »Ich bin absolut davon überzeugt, dass, lebten Konfuzius und Mencius heute noch, sie Hans Küngs Vorschlag, das Humanum als das grundlegende ökumenische Kriterium zu begründen, begeistert zustimmen würden.« 1 Doch bei aller Bejahung des Grundanliegens kritisiert Liu Shuhsien nicht nur die westliche, sondern auch die konfuzianische Tradition: Diese vertrete zu Recht die Menschenwürde, aber: »Zweifelsohne ist die konfuzianische Tradition bei der Ausarbeitung der Gesetzgebung bezüglich der Menschenrechte und beim Erlassen von Gesetzen zum Schutz der normalen Bürger weit hinter der westlichen Tradition zurückgeblieben.« 2
    Niemand kann damals im Februar 1989 in Paris oder anderswo ahnen, dass noch im selben Jahr Umwälzungen stattfinden würden, die das Gesicht des Globus total verändern würden: Proteste und Demonstrationen von Leipzig bis Peking. Am 4. Juni 1989 kommt es auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) zum Massaker an Demonstranten durch die chinesische Armee mit Hunderten von Toten – bis heute die nicht verheilte Wunde am Leib der Kommunistischen Partei Chinas. Am 9.   November 1989 aber der Fall der Berliner Mauer und in der Folge der Zerfall des Sowjetimperiums. Als ein Resultat erleben wir eine neuartige Globalisierung von Ökonomie, Technologie und Kommunikation, die trotz allem auch für die Volksrepublik China, ja für den ganzen sinisierten Raum von Pjöngjang bis Taipeh, von Turfan bis Tokio von größter Bedeutung wurde.
    Vor dieser welthistorischen Kulisse gibt das zweite Parlament der Weltreligionen in Chicago 1993 – zur Jahrhundertfeier des ersten Parlaments 1893 – eine effektive Initialzündung für die Bewusstwerdung eines globalen Menschheitsethos (vgl. Kap. X). Ich bin, eingeladen vom Council des Parlaments in Chicago, verantwortlich für den Entwurf einer Weltethos-Erklärung (»Declaration Toward a Global Ethic«). Nicht verantwortlich bin ich für die Einladungen zum Parlament, die in der Hand des Council liegen. Eine konfuzianische Gruppierung hatte sich in dieser prekären politischen Situation nicht gemeldet, und von Chicago geht auch keine besondere Einladung aus, sodass es keine formelle konfuzianische Beteiligung gibt.
    Aber trotzdem ist das konfuzianische Erbe in diesem Parlament präsent, wie konfuzianische Beobachter feststellen. Vor allem natürlich durch die Goldene Regel der Gegenseitigkeit (»shu«), deren erste Formulierung in der Geschichte der Religionen sich bekanntlich in den »Gesprächen« (»Analekten«) des Konfuzius findet. Die Goldene Regel bildet einen Eckstein der Weltethos-Erklärung.
    Doch darüber hinaus findet sich in dieser Erklärung ein Großteil der Prinzipien

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