Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
konfuzianischer Ethik – als die grundlegenden Lehrsätze der religiösen Gruppen aus dem Fernen Osten –, sodass etwa LIU SHUHSIEN erklärt: »Ich würde nicht zögern, meine Unterschrift unter dieses Dokument zu setzen.« 3 Und er bezieht sich auf Professor TU WEIMING , der auf der Dritten Internationalen Konferenz über zeitgenössische neokonfuzianische Philosophie an der Chinesischen Universität von Hongkong im Dezember 1994 die Betonung auf das Wort »konfuzianisch« als Adjektiv legt: Man könne also konfuzianisch-buddhistisch, konfuzianisch-christlich und sogar konfuzianisch-muslimisch sein. Dabei lege der Konfuzianismus größten Wert auf »Harmonie« (»ho«). Und ich würde im Sinn meines Freundes Tu Weiming hinzufügen: konfuzianisch-daoistisch. Der Daoismus , anfänglich Oppositionsbewegung gegen den konfuzianischen Traditionalismus und dessen Fixierung auf eine paternalistische Hierarchie, Autorität, Ordnung und Bildung, hat sich später mit dem Konfuzianismus versöhnt. Im Zeichen des Yin-Yang-Symbols orientiert man sich an der nicht konträren, sondern komplementären Logik wechselseitiger Inklusion.
Wie das Projekt Weltethos in China startete
Mein großes Glück war, dass sich mir, wie berichtet, schon auf meiner ersten Chinareise 1979 Gelegenheit geboten hatte, mich für den interkulturellen Dialog auf wissenschaftlicher Ebene als kompetenter und glaubwürdiger Gesprächspartner zu erweisen; der römische Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis noch am Ende desselben Jahres schadet meinem Ansehen wenig, macht mich vielmehr in den Augen der Chinesen »unverdächtig«.
Dazu kommt als weiterer Glücksfall: Schon in den 1980er-Jahren ergibt sich ein Kontakt mit zwei hoffnungsvollen chinesischen Nachwuchswissenschaftlern. Da ist LIU XIAOFENG , der mit mir Mitte der 1980er-Jahre Kontakt aufnimmt. Zu meinem großen Erstaunen hatte er mitten in China mein Buch »Christ sein« gelesen und war Christ geworden, allerdings ohne sich taufen zu lassen und sich einer Kirche anzuschließen. Ich kann ihm helfen, 1989 – 93 ein Doktorat in Theologie an der Universität Basel zu erwerben. Und da ist DANIEL YEUNG , der Liu Xiaofeng 1993 an sein damaliges Institut in Hongkong holt und mit ihm zusammen 1995 ein neues Institut gründet: das Institute of Sino-Christian Studies (ISCS).
Beide werden nun zu unseren wertvollen Partnern für den Start des Weltethos-Projekts in China, mit Daniel Yeung wird sich eine kontinuierliche Zusammenarbeit entwickeln bis auf den heutigen Tag. Ausgangspunkt ihres Engagements war beider Teilnahme an der Versammlung des InterAction Council früherer Staats- und Regierungschefs in Wien im März 1996, für die ich sie vorgeschlagen hatte.
Doch ich muss nun auch selber in China aktiv werden. Eine Vortragsverpflichtung in Japan bietet mir 1996 die günstige Gelegenheit, in Peking einen Stopp einzulegen. Dort erwartet mich ein sehr gedrängtes Programm. Das Institute of Sino-Christian Studies hatte gemeinsam mit der Peking-Universität zum dritten »Summer Seminar of Advanced Religions in China« eingeladen. Diese Seminarreihe hat 1994 begonnen und ist die erste Veranstaltung dieser Art nach dem Scheitern der Demokratiebewegung 1989. Am 21. Juli 1996, nach einem Nachtflug, komme ich um 8.30 Uhr in Peking an. Nur drei Stunden Rast nach der Ankunft in einem Tageshotel, dann geht es zum Seminar an der Peking-Universität, wo ich einen Vortrag über »World Religions – World Peace – World Ethic« halte. Am Abend ziehe ich in mein eigentliches Hotel, das noble Jianguo, in dem mein Patensohn BEAT KLARER als »Director of Food and Beverage« tätig ist. Am nächsten Tag besuche ich die Abteilung für Religionswissenschaft und das Institut für Ausländische Philosophie an der Peking-Universität sowie die Abteilung für Philosophie und das Institut für Christentum an der Renmin-Universität. Anschließend habe ich noch ein Meeting mit den Mitarbeitern des Instituts für Weltreligionen an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften (CASS) im Jianguo Hotel.
Meine verschiedenen Auftritte waren so erfolgreich, dass sie die Aufmerksamkeit der akademischen Welt Chinas auf sich zogen; dies schreibt mir noch am 5. Juni 2013 Daniel Yeung und fügt hinzu: »Aus diesem Grund hatte ich es leicht, die Erste Konferenz über ›Weltethos und traditionelle chinesische Ethik‹ im folgenden Jahr 1997 zu organisieren.« Davon gleich mehr.
Am 23. Juli 1996 fliege ich – als fast einziger
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