Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
resigniert fest: »Alles, was die Exegese im letzten Jahrhundert mit so großer Sorgfalt zu den biblisch und frühjüdisch geprägten Gattungen dieser Texte erarbeitet hat, schiebt Benedikt als angebliche Hyperkritik souverän beiseite.« 2
Man vergleiche nur meine historisch-kritische Interpretation zur Jungfrauengeburt mit der von Ratzinger. Für mich handelt es sich wie für die Mehrzahl heutiger Exegesen um eine fromme Legende aus der zweiten oder dritten Christengeneration. Mich aber hat es erschreckt zu sehen, wie er noch im Jahr 2012 die zahlreichen zeitgenössischen Parallelen zur Jungfrauengeburt in der ägyptisch-griechisch-hellenistischen Mythologie nicht ernst nimmt und auch nicht das Fehlen einer Kindheitsgeschichte bei Markus, Paulus und Johannes, die sich durchaus zu Jesus dem Messias, Christus oder Gottessohn bekennen, auch wenn sie nichts von der Jungfrauengeburt wissen. Es muss doch für Zeitgenossen befreiend sein zu wissen: Der Christus-Glaube steht und fällt keineswegs mit dem Bekenntnis zur biologischen Jungfrauengeburt! In seiner Tübinger Zeit hatte es Joseph Ratzinger noch als durchaus mit dem Glauben vereinbar angesehen, dass Josef der biologische Vater Jesu war. Aber dann ging Ratzinger den »Weg der Regression«: »Den Weg zurück zum Kinderglauben, der dann auch gegen alle wissenschaftliche Evidenz Erzählungen wörtlich nimmt, anstatt nach deren inhaltlicher Sinnspitze zu fragen. Ein Weg der Einpanzerung, der alles Kritische, der alle Anfragen der Vernunft als Diktatur des Relativismus denunziert. Ratzinger hat an der entscheidenden Stelle der Mut verlassen. Und sich gegen die Vernunft entschieden, die er so gern mit dem Glauben versöhnen wollte« (Wolfgang Bergmann, »Der Standard«, Wien 12. 3. 2013).
Für mich war meine ganze Vorlesungsreihe über das Credo ein Beweis dafür, dass eine schriftbezogene und zeitgemäße Theologie auch heute noch bei den Menschen Anklang findet. Auch bei dieser Vorlesung war mein Hörsaal voll. Und so war es auch in München an der Katholischen Akademie von Bayern, als ich am 10. Oktober 1992 in drei Vorträgen das Glaubensbekenntnis erkläre und anschließend der Eucharistiefeier vorstehe. Es gibt tosenden Beifall, als der angesehene Münchner Theologe Professor HEINRICH FRIES eine »Wiedergutmachung« im Fall Hans Küng mit den Worten fordert: »Ist die katholische Kirche so eng, dass sie einen Mann wie Küng nicht ertragen kann, oder ist sie so reich, dass sie auf ihn verzichten kann?« Fries nannte mich einen »Hoffnungsträger«, weil ich trotz meiner Verurteilung durch die Kirche nicht resigniert hätte.
Doch nicht alle katholischen Theologen denken so. Anlässlich meines 65. Geburtstages habe ich die Katholisch-Theologische Fakultät am 17. Mai 1993 zur Versöhnung zu einem festlichen Abendessen in mein Haus eingeladen. Bei dieser Gelegenheit hat mir Prof. PETER HÜNERMANN den von ihm herausgegebenen, über zwei Kilogramm wiegenden »Denzinger« in der 37. Auflage, das »Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen«, mit der Widmung »in freundschaftlicher Verbundenheit« überreicht. Das habe ich mit gemischten Gefühlen aufgenommen, denn unter Dokumentnummer 4530 ist nun auch die gegen mich gerichtete Erklärung der Glaubenskongregation »Mysterium fidei« vom 24. Juni 1973 in vollem Wortlaut abgedruckt. Andererseits wurde vom Herausgeber der heute peinliche »Dictatus Papae« Gregors VII. glatt unterschlagen. Auf die Problematik dieses »Denzinger« und der ihr folgenden »Denzinger-Theologie« habe ich schon früh (vgl. Bd. 1, Kap. VI: Ein Streit um Dogmen) aufmerksam gemacht. Dass sich dann Hünermann und ein anderer Kollege als Einzige öffentlich von der Forderung der Fakultät nach meiner Rehabilitierung durch die römischen Autoritäten distanziert haben, passt zu diesem Bild, auch dass er sich in einer späteren Periode – mit wenig überzeugenden Argumenten – als Reformer auch der Glaubenskongregation zu profilieren versucht.
»Themen eines Lebens«
Am Ende des Wintersemesters 1995/96 erreiche ich nun mit 68 Jahren die Grenze zur Emeritierung. Das soll gebührend gefeiert werden. In diesem Semester halte ich selber im Studium generale meine letzten Vorlesungen als Inhaber des Lehrstuhls für Ökumenische Theologie, der ad personam geschaffen wurde und traurigerweise jetzt nicht wiederbesetzt wird. Meine Vorlesungsreihe im Studium generale gilt »Themen eines Lebens. Theologie auf der
Weitere Kostenlose Bücher