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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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einen absolutistischen Jurisdiktionsprimat und Unfehlbarkeit zugesprochen hat; meine ausführlich begründete »Anfrage: Unfehlbar?« (1970) ist nie beantwortet worden. 1978 war Karol Wojtyła als Johannes Paul II. gewählt worden, zum ersten Mal ein Pole auf dem Papstthron. Als Mann mit den Erfahrungen des Ostens war er auch von mir begrüßt worden. Doch schon nach einem Jahr war mir klar, dass der Kurs des neuen Papstes nicht auf konziliare Erneuerung im Geist des Vatikanums II, sondern auf nachkonziliare Domestizierung des Konzils, ja auf vorkonziliare Restauration ausgerichtet ist.
    Am 17.   Oktober 1979 veröffentliche ich deshalb wohlüberlegt eine Zwischenbilanz des ersten Amtsjahrs Papst Johannes Pauls II. Nicht aus einer Laune heraus. Als Theologe dieser Kirche sehe ich mich im Gewissen verpflichtet, vor einer verhängnisvollen Entwicklung zu warnen. Dafür habe ich teuer bezahlt, denn es ist dieser gleichzeitig in mehreren Weltblättern publizierte Artikel, der zwei Monate später den Ausschlag gibt zum Entzug meiner kirchlichen Lehrbefugnis (»Missio canonica«) als katholischer Theologe am 18.   Dezember 1979 – unter dem Protest des Kirchenvolkes (vgl. Bd.   2, Kap. XI: Die große Konfrontation; Ein Jahr Johannes Paul II.). Hätte ich Karol Wojtyła als die größte Hoffnung der Kirche des 20. Jahrhunderts gelobt, hätte er mir wohl selbst meine Kritik an der »Pillenenzyklika« Humanae vitae und an der päpstlichen Unfehlbarkeit verziehen.
    Widersprüchlichster Papst des 20.   Jahrhunderts
    27   Jahre Pontifikat haben meine Kritik leider voll bestätigt. In einem Wort: Für mich und viele andere Kenner der Geschichte ist Karol Wojtyła nicht der größte, wohl aber der widersprüchlichste Papst des 20.   Jahrhunderts . Es ist tragisch: Ein Papst so vieler großer Gaben – und so vieler falscher Entscheidungen! Vereinfacht auf einen Nenner gebracht: Wojtyłas » Außenpolitik « verlangt von aller Welt Bekehrung, Reform, Dialog. Im krassen Widerspruch dazu aber seine » Innenpolitik «, die auf Restauration des Status quo ante Concilium, auf Reformverhinderung, Verweigerung des innerkirchlichen Dialogs und absolute römische Herrschaft in der Christenheit abzielt. Angesichts so vieler Glorifizierungen durch papstgläubige Bischöfe, Theologen und Publizisten muss ich konkret werden: In elf Problemfeldern zeigt sich diese Widersprüchlichkeit. Dabei anerkenne ich ausdrücklich die positiven Seiten dieses charismatischen Pontifex, die indes von offizieller Seite seit jeher zur Genüge hervorgehoben werden, und konzentriere mich auf die kritischen. Je mehr sich jemand in dieser Kirche engagiert, umso stärker wird er unter diesen Widersprüchen leiden und wird sich nicht mit wohlfeilem Papstlob aus der Ferne begnügen können.
    Widerspruch 1 : Johannes Paul II. vertritt die Menschenrechte nach außen, aber verweigert sie nach innen Bischöfen, Theologen, engagierten Gläubigen, den Frauen vor allem.
    Der Vatikan – früher entschiedener Feind der Menschenrechte, heutzutage aber gerne bereit, in Europas Politik mitzumischen – darf die Menschenrechtskonvention des Europarates nach wie vor nicht unterzeichnen; allzu viele Kanones des mittelalterlich-absolutistischen römischen Kirchenrechtes müssten zuvor geändert werden. Gewaltenteilung – Grundlage jeder modernen Rechtspraxis – ist in der römisch-katholischen Kirche unbekannt. Keine Spur von fairen Verfahren: In Streitfällen fungiert ein und dieselbe vatikanische Inquisitionsbehörde als Gesetzgeberin, Anklägerin und Richterin.
    Folgen : Ein serviler Episkopat und unhaltbare Rechtszustände. Wer als Pfarrer, Theologe oder Laie mit der höheren kirchlichen Instanz in einen Rechtsstreit gerät, hat kaum eine Chance, recht zu bekommen – außer vielleicht vor einem staatlichen Gericht.
    Widerspruch 2 : Der große Marienverehrer predigt hehre Frauenideale, aber zugleich verbietet er den Frauen die Pille und verweigert ihnen die Ordination .
    Attraktiv für viele traditionell katholische Frauen (besonders Ordensfrauen), stieß dieser Papst moderne Frauen ab, weil er sie von höheren Weihen »unfehlbar« mit Berufung auf den Willen Gottes für alle Ewigkeit ausschloss und Empfängnisverhütung zur »Kultur des Todes« rechnete. Aber selbst viele der Frauen, die an päpstlichen Massenveranstaltungen teilnahmen, lehnen die päpstliche Lehre gegen die Empfängnisverhütung ab.
    Folgen : Zwiespalt zwischen äußerem Konformismus und innerer

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