Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
jetzt, ein Jahrzehnt nach dem Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis, der katholische Benziger Verlag drängt, meine kleineren Schriften zur Reform der Kirche , die ich in den letzten zwei Jahrzehnten veröffentlicht hatte, in einem Buch herauszugeben. Titel: »Die Hoffnung bewahren« (Zürich 1990). Natürlich fragt man mich und frage ich mich immer wieder, ob ich mich als einzelner Theologe mit meinem wachsenden Engagement innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche nicht übernehme. Was kann ich schon als Kapital einsetzen in all diesen Auseinandersetzungen, wenn ich nicht über das Finanzkapital eines Unternehmers oder Managers oder das Machtkapital eines Politikers oder Kirchenfürsten verfüge? Im Grunde besitze ich als Theologe nur ein Kapital des Vertrauens , das ich mir im Lauf der Jahrzehnte durch mühevollen Einsatz erworben habe, aber auch immer wieder neu erwerben muss. Dafür scheint mir ein dreifaches Bemühen wichtig zu sein, wie ich es in der Einleitung zu jenen »Schriften zur Reform der Kirche« 1990 programmatisch formuliere.
Erfordert ist erstens das Bemühen um christliche Radikalität : Meine Aussagen zur Reform der Kirche gründen sich nicht in der Anpassung an einen »Zeitgeist« oder nur auf soziologischen und praktischen Erwägungen, sondern in der christlichen Ur-Kunde selber. Meine Reformforderungen, die man bisweilen »radikal« nennt, sind kein ideologischer Radikalismus, haben vielmehr ihre »Radix«, ihre Wurzel, im Evangelium Jesu Christi. Sie werden gestützt durch die große gemeinsame katholische Tradition vor allem des ersten Jahrtausends und formuliert im Blick auf die Nöte und Hoffnungen der Menschen von heute.
Erfordert ist zweitens ein Bemühen um Konstanz : Ohne Wanken und Schwanken, ohne Rücksicht auf Opportunität, ohne Konzessionen an kirchliche Hoftheologie und unter Verzicht auf einen katholischen Verlag lege ich eine Konzeption von Kirche vor, welche die Grundimpulse des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgenommen hat und welche ich durch zwei Jahrzehnte hindurch systematisch durchdacht und auf die Praxis hin konkretisiert habe. Alle diese Reformforderungen kommen also nicht aus einem innerkirchlichen Enthusiasmus oder hyperkritischen Extremismus. Sie sind realistisch und konstruktiv formuliert im Blick auf das jetzt schon innerkirchlich Mögliche.
Und erfordert ist drittens das Bemühen um Kohärenz : Meine einzelnen Reformforderungen stehen nicht für sich und isoliert. Sie sind Teil einer geschlossenen und zugleich offenen Gesamtkonzeption. Fragen wie Zölibat, Frauenordination oder Mitentscheidung von Laien in der Kirche sind keine beliebigen Detailfragen. Vielmehr sind sie Ausdruck eines in sich kohärenten ekklesiologischen Entwurfs, der, auf das Evangelium konzentriert, den vom Vatikanum II für die katholische Kirche eingeleiteten Wandel der Gesamtkonstellation (Paradigmenwechsel) – weg von Mittelalter, Gegenreformation und Antimodernismus – in Richtung auf eine nachmoderne Zeit konkretisiert.
Dieses meinem Mentor im Päpstlichen Collegium Germanicum, P. WILHELM KLEIN SJ, zu seinem 100. Geburtstag gewidmete Buch »Die Hoffnung bewahren« umfasst vier bei aller Kritik konstruktive, konkrete Teile: A. In der Kirche bleiben, B. Polarisierungen überwinden, C. Probleme lösen und D. Auf die Zukunft setzen. Sie sind bis heute aktuell geblieben. Denn die Kirchenreform ist ein Dauerproblem ! Schon vorher hatte ich zusammen mit meinem Kollegen und Freund NORBERT GREINACHER einen kritischen Sammelband »Katholische Kirche – wohin? Wider den Verrat am Konzil« (München 1986) herausgegeben, in dem eine ganze Reihe von Theologen Stellung nehmen zur Stagnation und reaktionären Haltung der Kirchenleitung, zur Restauration und Inquisition in der Theologie, mit ganzen Kapiteln über typische Vorgänge und exemplarische Fälle. 1 Dazu schrieb ich die Einleitung »Zur Lage der katholischen Kirche. Oder: Warum ein solches Buch nötig ist« und füge auch meinen schon 1985 in »Die Zeit« veröffentlichten großen Aufsatz ein über »Kardinal Ratzinger, Papst Wojtyła und die Angst vor der Freiheit. Nach langem Schweigen ein offenes Wort« (Titel von der Redaktion).
Aber selbstverständlich geht es mir nicht nur um Fragen der praktischen Reform, sondern auch zentral um Fragen des christlichen Glaubens. Und es ist geradezu ein Testfall für jede Theologie, ob sie fähig ist, die Artikel des traditionellen Glaubensbekenntnisses für heute zu erklären.
Das Credo
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