Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Schwelle zum dritten Jahrtausend«: Worauf menschliche Existenz sich gründet – Die unausweichliche Frage nach Gott – Orientierung an Jesus Christus – Kirche, Konzil und Reform – Die mögliche Einheit der Christenheit. Die Abschiedsvorlesung war schließlich dem Frieden zwischen den Religionen gewidmet. Meine engsten Freunde würdigen in den folgenden beiden Vorlesungen meine Theologie: KARL-JOSEF KUSCHEL spricht am 5. Februar 1996 über »Theologie in Freiheit«, WALTER JENS am 12. Februar »Zum Abschied«. Besonders freute ich mich über folgende Passage des großen Rhetors: »Studierte und Unstudierte in gleicher Weise belehrend, hat Hans Küng ein Kunststück fertig gebracht, das selbst Schiller – und der, weiß Gott, beherrschte perfekt wie kaum ein anderer, mit Ausnahme Luthers und Lessings natürlich, die Kunst der zu Herzen gehenden Rede – dröhnend beklatscht hätte, wäre er im Tübinger Hörsaal Hans Küng am Montagabend begegnet …«
Im Anschluss an die Vorlesung von Jens verleiht Universitätsrektor HANS - WERNER LUDWIG Walter Jens und mir die Universitätsmedaille in Silber – begleitet von unbeschreiblichem Jubel des großen Auditoriums. Die Vorlesungen von Kuschel und Jens und meine Abschiedsvorlesung werden von den beiden in einem kleinen Buch »Dialog mit Hans Küng« (1996) veröffentlicht.
So war ich denn 36 Jahre ordentlicher Professor an der Universität Tübingen, und ich war es mit Leidenschaft. Durch den Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis war ich von vielen administrativen und bürokratischen Aufgaben befreit worden und hatte mein akademisches Programm ganz nach meinem Willen und meinen Interessen einrichten können. Es war eine privilegierte Stellung, wie sie kein anderer an der Universität innehatte. Und ich habe sie auch genutzt, um an der Universität all das zu schaffen, worüber der umfassende Tätigkeitsbericht des Instituts für Ökumenische Forschung Auskunft gibt: »Drei Jahrzehnte Lehre und Forschung für die Ökumene 1964 – 1996«.
Was mir freilich den Abschied vom Lehrstuhl wesentlich erleichterte, war die im Herbst 1995 erfolgte Gründung der Stiftung Weltethos, von der im Kapitel X ausführlich berichtet wurde. Das wichtigste war mir, dass ich meine hochkompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behalten konnte, sodass in meiner Tätigkeit praktisch kein Bruch eingetreten ist.
Der todkranke Johannes Paul II. – Symbol einer altersschwachen Kirche
Die Lage der katholischen Kirche zu Beginn des 3. Jahrtausends ist ernst. Der Papst stirbt. Aber die Kirche soll leben. Doch sie bedarf – im Hinblick auf die Papstwahl – einer Diagnose, einer ungeschönten Insider-Analyse. Über die Therapie wird später zu reden sein.
JOHANNES PAUL II .: Er ist in seinen letzten Jahren ein höchst gebrechlicher, teils gelähmter, trotz aller Medikamente kaum noch sprechfähiger Papst. Er leidet an der langsam wirkenden, zerstörerischen Parkinsonkrankheit. Manche bewundern seine Durchhaltekraft, die sie bei einem kranken US-Präsidenten oder deutschen Bundeskanzler nie bewundern würden. Andere fühlen sich abgestoßen von einem eigensinnigen Amtsträger, der, statt sich christlich in seine Endlichkeit zu fügen und das Amt für einen Nachfolger frei zu machen, sich in einem notorisch undemokratischen System mit allen Mitteln an die Macht klammert und einen Großteil der Arbeit seinem polnischen Sekretär STANISŁAW DZIWISZ überlässt.
Denn um die Macht geht es , natürlich hinter dem sakralen Szenario – für den Papst persönlich wie für die realen Machthaber um ihn herum. Das sollte man bei allem Mitleid nicht fromm bemänteln. Tagtäglich gehen ja aus der römischen Zentrale Personalernennungen, Dekrete, Weisungen, Verurteilungen, Rechnungen in alle Welt, die das autoritäre System absichern und die gegenwärtige Machtkonstellation auch für die Zukunft garantieren wollen.
Nüchtern betrachtet: Auch für viele Katholiken ist dieser ans Ende seiner Kräfte gekommene Papst, der seine Macht nicht abgibt, obwohl er es könnte und sollte, das Symbol einer »Potemkinschen« Kirche , die hinter glänzender Fassade verknöchert und altersschwach geworden ist. Zwar funktioniert in Rom und auf Reisen mithilfe römisch gesinnter »Movimenti« (neuerer konservativer Laienbewegungen) und Medien ein finanzstark organisierter und medial geschickt inszenierter triumphalistischer Personenkult. Dahinter aber lebt in den meisten Ländern eine Kirche in Dauerkrise
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