Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
mit ausgedünnten, überalterten Kadern und drastischem Mitgliederschwund. Von der Hochstimmung zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 65) ist nichts übrig geblieben. Der Horizont der konziliaren Erneuerung, ökumenischen Verständigung und Öffnung zur Welt erscheint verhangen und die Zukunft düster. Gerade in Europa und Nordamerika haben viele resigniert, sich gar verzweifelt abgewandt von dieser um sich selbst kreisenden Hierarchie. Überall aber kämpfen noch immer tapfer sich abmühende Seelsorger – Priester wie Laientheologen (darunter besonders viele Frauen!) – gegen den katastrophalen Priestermangel und die kosmetischen Pläne für immer größere »Seelsorgeeinheiten« an, die Kirchenpersonal wie Gemeindemitglieder überfordern. Selbst ein Mann der Kurie wie Kardinal WALTER KASPER stellt in den späten Wojtyła-Jahren eine »Hoffnungskrise« der Kirche fest.
Wenig Hoffnung haben unter dem gegenwärtigen autoritären Regime besonders:
die Frauen , die von rigoristischer Sexualmoral diskriminiert und von allen höheren Weihen und damit kirchenleitenden Positionen für alle Ewigkeit ausgeschlossen sein sollen;
die Männer , die sich als Priester zum besonderen Dienst an den Gemeinden bereit erklärt haben und denen deshalb die Ehe evangeliumswidrig für immer verboten sein soll;
die wiederverheirateten Geschiedenen , die von der Teilnahme an der Mahlgemeinschaft auf Dauer unbarmherzig ferngehalten werden sollen;
die Angehörigen anderer Konfessionen , denen die eucharistische Gastfreundschaft verweigert wird. Und – wer ist verantwortlich für diese Hoffnungskrise?
Der Papst hauptverantwortlich für die Hoffnungskrise
Neue Hoffnung wird erst dann wieder aufleuchten, wenn man sich in Rom und im Episkopat neu nach dem Kompass des Evangeliums richtet: Der radikalen Reform bedarf vor allem die autoritäre Kommandostruktur. Nicht mehr erträglich ist heutzutage ein Papst , der zwar behauptet, Diener aller zu sein, sich aber faktisch als hierarchischer Alleinherrscher aufführt. Selbst angesichts gröbster Missstände denkt er nicht daran, auf Stimmen von außen zu hören. Er nimmt Realitäten nicht wahr und ist zu keiner Kurskorrektur bereit. Was man US-Präsident GEORGE W. BUSH jun. und seinem Team vorwarf, das die USA in den ausweglosen Irakkrieg geführt hat, lässt sich analog auch von KAROL WOJTYŁA und seinem Team sagen: selbstgerechte Amtsarroganz, Verachtung der kritischen Öffentlichkeit, Ignorieren von Expertenrat, sture Weigerung, von eigenen Fehlern zu lernen oder auch nur sie zuzugeben …
Erfreulich nur, dass der Papst eindeutig gegen den Irakkrieg und überhaupt den Krieg Stellung genommen hat! Die Rolle des polnischen Papstes beim Zusammenbruch des Sowjetimperiums wird ebenfalls zu Recht hervorgehoben. Sie wird aber von Papst-Propagandisten erheblich übertrieben. Denn das Sowjetregime ging nicht am Papst zugrunde (ohne Gorbatschow hätte er nichts erreicht). Es implodierte wegen der wirtschaftlich-sozialen Widersprüche des Sowjetsystems selbst.
Selbstverständlich haben besonders die Bischöfe eine große Verantwortung für die gegenwärtige Krise. Nicht »Sakristane des Papstes« sollten sie nach dem Vatikanum II sein, sondern auch vom Kirchenvolk anerkannte Leiter ihrer Ortskirchen. Größere Eigenständigkeit und Mut zum Handeln wären von ihnen zu erwarten. Statt konformistisch, opportunistisch und servil auf den selbstherrlichen Pontifex fixiert zu sein, müssten sie bei aller Loyalität dafür sorgen, dass der Kurs nach dem Evangelium eingehalten wird und die Seelsorge nicht zusammenbricht. Ungeeignet für das Bischofsamt ist, wer selbst dann, wenn die Kirche in Not ist und immer weniger ordinierte Seelsorger immer weniger Eucharistiefeiern halten können, trotz besseren Wissens dem Papst nicht ins Angesicht zu widersprechen wagt, sondern schweigt, verschleiert, abwiegelt und vertröstet. Nicht dem »Stellvertreter« Christi (ein Titel aus dem Mittelalter) sind Bischöfe und Seelsorger dieser Kirche letztlich verantwortlich, sondern Christus, dem Herrn selber, der sich nie für die absolute Vor- und Vollmacht eines einzelnen Hierarchen ausgesprochen hat, sondern dem das Wohlergehen aller – »ihr alle seid Brüder« – am Herzen liegt.
Doch trotz aller Mitverantwortung der Bischöfe für die Hoffnungskrise der Kirche: die Hauptverantwortung trägt selbstverständlich der Papst selbst , dem das Erste Vatikanische Konzil 1870 bibel- und traditionswidrig
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