Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
der Moment, als Du das Auditorium betratest und alle im Saal aufstanden, und Dich mit tosendem Applaus begrüßten!« Gut 700 Tübinger und Tübingerinnen, neben Professoren und einigen Ehrengästen auch viele Studenten und Studentinnen, waren gekommen.
Der Rektor hält selber die Einleitung unter dem Titel: »Hans Küng – ›Markenzeichen‹ der Universität Tübingen«; weil er im Ausland manchmal, wenn er Tübingen nannte, als Antwort bekam: »Ah, Hans Küngs Universität!«. Im Übrigen hatte ich darum gebeten, auf Grußworte zu verzichten, und mich gefreut, dass der neue Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, GÜNTHER OETTINGER , der diesen Abend verhindert war, mich stattdessen mit meinen Mitarbeitern und einigen wenigen Freunden zu einem festlichen Mittagessen in die Stuttgarter Villa Reitzenstein, seine Residenz, einlädt. Ich wünsche mir in Tübingen eine einfache und fröhliche Feier, musikalisch gestaltet von einem originellen Trio, dem Klarinettisten CLAUDIO PUNTIN zusammen mit dem Vibraphonisten TOM LORENZ und dem Schlagzeuger SAMUEL ROHRER . In ständiger Improvisation, Variation und Transformation gestalten sie eine Programmmusik nach den vier Lebensstationen (»quattro stazioni«), wie ich sie vorgeschlagen hatte: »Kindheit«, »Jugend«, »Reife« und »Alter«. Begeisterter Applaus des großen Auditoriums.
Fröhliche Lachsalven aber produziert vor allem der Festredner KARL-JOSEF KUSCHEL , der zuerst eine Reihe von groß auf den Bildschirm projizierten Küng-Karikaturen aus aller Welt kommentiert. Etwa die von Johannes Paul II., der, aus dem Flugzeug gestiegen, am Boden lauschend gefragt wird, ob er schon etwas höre, und antwortet: »Nur so ein Grummeln, so ein Küngeln …« Eine Erklärung dafür, warum dieser Papst bei jedem Besuch eines Landes sich immer zuerst auf den Boden warf …
Doch den Karikaturen lässt der Festredner dann unter dem Thema »Hans Küng – neue Horizonte des Denkens« eine Rede folgen, die an sachlichem Tiefgang und literarischer Brillanz ihresgleichen sucht. Während viele Zeitgenossen und Medienleute mich vornehmlich als Papst- und Kirchenkritiker zur Kenntnis nehmen, erlebe ich es nun nicht ohne Ergriffenheit, wie Kuschel mein theologisches Gesamtwerk umfassend darstellt und in seinen verschiedenen Dimensionen spannend analysiert. Zusammen mit einem kongenialen Aufsatz von Professor HERMANN HÄRING und einer persönlichen Hinführung zum »Phänomen Hans Küng« von Dr. STEPHAN SCHLENSOG werden Kuschels Rede und des Rektors Einleitung die Substanz bilden für ein vom Piper Verlag erfreulicherweise bald darauf veröffentlichtes Taschenbuch »Hans Küng – eine Nahaufnahme« .
Ich selber habe bei der allgemein hochgelobten Feier erfreulicherweise nur ein kurzes Dankeswort zu halten. Ausgehend von der eingangs zitierten Gratulation eines Cousins aus der Schweiz »Als Katholik bin ich traurig, dass Du schon so alt bist«, sage ich: Und ich könnte mir denken, dass auch manche Evangelische ein wenig traurig sind und jedenfalls die Begründung des Cousins mitunterschreiben könnten: »Unsere Kirche hätte solche Theologen wie Dich bitter notwendig …« Ich fahre fort: Da tröstet nur bedingt ein Glückwunsch eines alten Freundes aus China: »Ich habe eine sehr gute Nachricht für Dich: Das Jahr 1928 war ein Drachenjahr. Du bist also ein Drachensohn, in China ein Superglückspilz.«
Doch, sage ich, macht es mir Mut, dass Mose, als er zum Pharao ging, um die Befreiung seines Volkes zu fordern, 80 Jahre alt war. Danach wäre ja auch ich noch zu einigem fähig. »Aber glauben Sie ja nicht, ich hätte Lust, noch weitere 40 Jahre, womöglich auch noch durch die Wüste, zu wandern. Aber gerne noch ein paar Jährchen.«
Wenn man zum Markenzeichen seiner eigenen Universität erklärt wird, wenn man so viel Lob und Ehre erhält, wenn das alte Sprichwort »Viel Feind’, viel Ehr« im Lauf der Jahrzehnte sich geradezu ins Gegenteil verkehrt, da muss man sich auch im Alter überprüfen, ob man nicht in jene Untugend verfällt, der ich schon seit frühen Jahren in der Auseinandersetzung mit Rom stets angeklagt wurde: der Eitelkeit. Deshalb sei hier gegen Ende meines Lebens im Rückblick ausdrücklich die Frage gestellt und beantwortet:
Was ist Eitelkeit?
Ist es »Eitelkeit«, wenn man um rechtliches Gehör bittet von einer römischen Autoritätsperson, die mich weltweit durch Verurteilung diskriminierte, ohne mich je angehört oder auch nur gelesen zu
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