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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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wird, zeigt ihn in Würde mit einem dankbaren Lächeln. So soll der große Rhetor, der nun endgültig verstummt ist, uns im Gedächtnis bleiben.
    Seine Frau Inge, als Germanistin vor allem durch die mit bewundernswerter Akribie edierte Ausgabe von Thomas Manns Tagebüchern bekannt geworden, hatte mit ihrem Walter zusammen noch 2003 den Bestseller »Frau Thomas Mann« veröffentlichen können. Sie hat den Mut, für eine Öffentlichkeit, die jetzt nach authentischer Information verlangt, ein Interview zur Situation ihres Mannes zu geben, in dem sie viele Leser durch ihre Ehrlichkeit und taktvolle Menschlichkeit tief berührt: »Den Mann, den ich liebte, gibt es nicht mehr …« Auch schon 81-jährig, erzählt sie, wie sie ohnmächtig dem langsamen »Entschwinden« ihres Mannes in eine Welt zusehen musste, zu der sie wenig oder keinen Zugang hat: »Der Geist ist weg, aber das Gefühl ist noch da; wie fürchterlich es wird – ich hätte es nicht für möglich gehalten.«
    Auch als regelmäßiger Besucher kann ich nur ahnen, wie schwierig im Alltag sich das Leben mit einem Demenz-Kranken gestaltet. Selbst neueste Spielfilme über Demenzkranke wagen (lobenswerterweise) die fürchterlichsten Folgen der Demenzkrankheit nicht zu zeigen. Doch dass gerade die Alzheimerkrankheit alles andere als harmlos ist, vielmehr den Kranken psychisch wie physisch total zerrütten und die Angehörigen aufs Stärkste über Jahre hinweg belasten kann, habe ich in meinem Buch belegt mit einem Zitat vom schon genannten renommierten Chirurgen S. B.  NULAND . 5 1,3 Millionen Alzheimerkranke gibt es nach Auskunft der Deutschen Alzheimer Gesellschaft 2012 allein in Deutschland.
    Auf Sterbehilfe angesprochen, fragt Inge Jens mich: »Könntest du ihm jetzt ein Ende machen?« Ich antworte: »Nein, das kann man nicht.« Wer bin ich, das zu entscheiden? Das hätte Walter allein in der Frühphase seiner Krankheit entscheiden müssen. Und so muss seine Frau jetzt feststellen: »Ja, er wollte, das hat er über viele Jahre für sich reklamiert, immer eine freie Entscheidung über sein Lebensende treffen. Aber den Zeitpunkt, den hat er im wahrsten Sinne des Wortes verpasst.« Und ich kann verstehen, wenn sie hinzufügt: »Ich bete, dass er eines Morgens einfach nicht mehr aufwacht. Wenn ich einen Wunsch äußern darf, dann den, dass er an einem Infarkt, einem Schlag, was immer es ist, schnell sterben mag, ohne es groß zu merken.« Am Vorabend seines 90. Geburtstags (8. 3. 2013) besuche ich ihn erneut. Zehn Jahre sind es schon seit dem Beginn seiner Demenz. Es ist deprimierend. Inge sagt zu mir: »Wir können nicht reingucken in seinen Kopf, und er kann uns seit vielen Jahren schon nicht mehr sagen, was in ihm vorgeht. Für Außenstehende ist es ein trauriges Dasein. Ich kann nur hoffen, dass es für ihn selbst nicht so traurig ist.«
    So erlebe ich denn aus nächster Nähe mit, was für Tausende und Abertausende von Patienten in aller Welt sich abspielt. Doch ich muss mir auch sagen: Wo hätte Walter Jens denn gerade in Deutschland den Arzt gefunden, der ihm zum Sterben hätte helfen können? Er hätte wohl in die Schweiz reisen und eine Sterbehilfeorganisation in Anspruch nehmen müssen. Manchmal packt mich der Zorn, wenn ich in der Presse von den immer wiederholten Ausflüchten und Fehlbehauptungen von Ärzte-, Juristen- und Kirchenfunktionären lese, die eine gründliche gesetzliche Regelung dieser unhaltbaren Situation blockieren. Gibt es doch zahllose Fälle von lebensmüden Menschen, wo es wahrhaftig nicht an menschlicher Zuwendung und an Palliativmedizin fehlt. »Furchtbar … Ich möchte sterben.« So hatte ich mehrfach bei Besuchen aus dem Mund von Walter Jens gehört. Aber es ist niemand da, der ihm dazu hilft. »Mein Gott, warum hast Du mich verlassen …«
    Gleichzeitig aber höre ich von einem Arzt, der für seine eigene, seit Jahren schlimm leidende und immer wieder nach dem Tod verlangende Mutter unauffällig bei verschiedenen Stellen todbringende Medikamente zusammengekauft hat, um ihr schließlich zu einem ruhigen Sterben zu verhelfen. Wie vieles auf diesem Gebiet illegal, aber moralisch legitim. Es ist doch todtraurig, wenn, wie mir im Juli 2012 mitgeteilt wird, eine 72-jährige Patientin mit metastasierendem Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium zur Schmerzlinderung in die Palliativabteilung des Krankenhauses eingewiesen wird und sich dort um 4 Uhr nachts aus dem Fenster stürzen muss, nur um endlich sterben zu können. Dies

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