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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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finden. Schlichte Ländler und Jodler erschienen mir ungeeignet. Rossinis »Wilhelm Tell«-Ouvertüre tönt zu dünn in kleiner Besetzung. Arthur Honegger und Othmar Schoeck, die bedeutendsten Schweizer Komponisten des 20.   Jahrhunderts, haben keine einschlägige Festmusik geschrieben. Auch die Tänze aus Igor Strawinskys »Geschichte vom Soldaten«, der von Chur nach Walenstadt wandert, wirken nur im Kontext. So entscheide ich mich schließlich dazu, alte Schweizer Märsche und Lieder, wie ich sie liebe, mit einem ausgezeichneten Lautsprechersystem einspielen zu lassen. In der ganzen Schweiz hat sie niemand origineller und virtuoser interpretiert als das englische Brass Ensemble von Philip Jones. Sie werden in der Tat begeistert beklatscht, wie wenn die Musiker im Raum anwesend wären.
    Ich heiße alle Gäste mit der einfachen und doch präzisen Anrede » Meine Lieben« willkommen. Denn, sage ich, ich habe niemand nur aus Protokollgründen eingeladen, niemand, der mir nicht lieb ist. Mit allen habe ich persönliche Beziehungen, schon seit Jahrzehnten oder kürzer, intensiver oder loser. Im Übrigen kennen sich die meisten in und um Tübingen, vom Oberbürgermeister und Rektor der Universität angefangen, auch gegenseitig. Neben einigen Mitgliedern des Kuratoriums der Stiftung Weltethos nenne ich nur ausdrücklich den neben mir sitzenden früheren Ministerpräsidenten ERWIN TEUFEL , der mir schon vor 30   Jahren in der großen Konfrontation mit Rom als CDU-Fraktionsvorsitzender im Landtag Baden-Württembergs beistand, der als Ministerpräsident meinen von römischer Sippenhaft betroffenen Schülern Karl-Josef Kuschel und Urs Baumann, beide an diesem Abend natürlich auch mit dabei, geholfen hat, in der Fakultät eine honorige Stellung zu bekommen, der bei der Gründung der Stiftung Weltethos die Eröffnungsrede hielt und sich ein paar Jahre später nicht gescheut hat, selbst beim Domjubiläum in Rottenburg öffentlich – zur sichtbaren ärgerlichen Überraschung der dortigen Monsignori – meine kirchliche Rehabilitation zu fordern.
    Auf Grußworte und Ähnliches habe ich bei dieser Feier gern verzichtet. Dafür hören wir alle mit großer Spannung, wie der Tübinger Schriftsteller Dr.   KURT OESTERLE zusammen mit dem Schauspieler und Rezitator MICHAEL HEINSOHN geistreich Leben und Wirken »eines katholischen Theologen aus Tells Schweiz in Schillers Schwabenland« porträtieren. Alles humorvoll und tiefsinnig zugleich, aus der Geschichte heraus verstanden und zugleich hochaktuell.
    Eingeleitet habe ich den Abend mit einer kleinen Meditation. Das Brass Ensemble spielt das vielleicht bekannteste Volkslied der Romandie, vom »Vieux chalet«, das in jeder Strophe beginnt mit » Là-haut, sur la montagne , da droben auf dem Berg«.
    –  L’était un vieux chalet , war da ein altes Chalet. Aber in der zweiten Strophe:
    –  Croula le vieux chalet ; zerfiel es, von Wasser, Fels und Schnee zermalmt. Und in der dritten Strophe:
    –  Quand Jean vint au chalet, pleura de tout son cœur, sur les débris de son bonheur ; als Jean zum Chalet kam, weinte er gar bitterlich über die Trümmer seines Glücks. Doch in der vierten Strophe:
    –  Là-haut sur la montagne, l’est un nouveau chalet , da droben auf dem Berg steht nun ein neues Chalet. Car Jean, d’un cœur vaillant, l’a reconstruit plus beau qu’avant . Denn Jean, tapferen Herzens, hat es sich neu erbaut, schöner als zuvor.
    Ich lade alle ein, während dieser von langen besinnlichen Alphornklängen eingeleiteten Melodie für sich still zu danken, wofür sie zu danken haben. Dann beschließe ich diese kleine Meditation mit wenigen Versen aus Psalm 90:
    »Unser Leben währt 70 Jahre,
    und wenn es hoch kommt, sind es 80 …
    Unsere Tage zu zählen, lehre uns,
    damit wir ein weises Herz gewinnen …
    die Freundlichkeit des Herrn, unseres Gottes, sei über uns,
    gib dem Werk unserer Hände Bestand,
    ja, gib dem Werk unserer Hände Bestand.«
    Ja, was hat am Werk meiner Hände Bestand?
    »Markenzeichen« der Universität Tübingen
    Auch an der Universität Tübingen will man den 80. Geburtstag ihres schon seit zwölf Jahren emeritierten, aber noch immer aktiven Mitglieds des Lehrkörpers feiern. Der Rektor der Universität, Professor Dr.  BERND ENGLER , lädt am 21. April abends zu einem akademischen Festakt ein. Dieser beginnt mit einer völlig ungeplanten Überraschung. Meine Schwester Rita schreibt mir nachher aus der Schweiz: »Wie ergreifend war doch

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