Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Hubschraubers. Aber ich verfüge nicht über die geringste politische Macht. Und ich habe mehrere Päpste, zahlreiche Kardinäle und Bischöfe persönlich kennengelernt und beneide sie nicht um ihre Titel, Prachtgewänder und pompösen Auftritte, wohl aber um ihre ungenutzten Möglichkeiten. Wie oft musste ich an das Wort meines väterlichen Freundes, des großen evangelischen Theologen KARL BARTH denken, er möchte nur einen einzigen Tag Papst sein, dann würde er einiges in der Kirche regeln. Und wie oft habe ich mich doch geärgert, dass ich bestimmte dringende Reformmaßnahmen nicht anordnen oder in Gang setzen und so manchen Menschen nicht helfen kann.
Trotzdem ist es nicht ganz richtig, dass ich ein Machtloser unter Mächtigen sei. Besitze ich doch die Macht des Wortes, des gesprochenen wie des geschriebenen. Und mit dieser Macht konnte ich in meinem Leben unendlich viel bewegen und manchmal sogar die Mächtigen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft inspirieren und motivieren. Meine Bücher und Veröffentlichungen – über die unterschiedlichsten Themen und in einer Vielzahl von Sprachen – sind mein reiches geistiges Kapital. Und in diesen Büchern steckt eine Geistmacht, welche Menschen in verschiedenartiger Hinsicht zu bewegen vermag. Was hat es denn konkret mit dieser Macht auf sich? Warum lesen denn die Menschen überhaupt meine Bücher?
Wenn man von den Fragen der Sprache und des Stils einmal absieht, wie wirkt im Wort die Macht des Geistes? Er ist eine Realität, aber wie muss man sich das vorstellen? Können Bücher die Welt oder mindestens einzelne Menschen verändern? Auf die Gefahr hin, der Selbstbeweihräucherung geziehen zu werden, möchte ich doch aus vielen Hunderten von Zuschriften drei kurz zitieren, die von der Wirkkraft der Bücher Zeugnis geben:
Da schrieb mir ein Mann der kirchlichen Publizistik anlässlich eines meiner Geburtstage: »Sie haben wie kein Anderer all die guten Glückwünsche, Aufmerksamkeiten und Ehrungen verdient. Für sehr viele Menschen sind Ihre Bücher, Ihre Reden und Interviews wichtiger als all die Publikationen, die als Hirtenbriefe, Sonntagspredigten von Bischöfen, Kardinälen und vom Papst verbreitet werden. Ich kenne in der katholischen Kirche niemanden, der sich so um Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Klarheit und Dialog bemüht wie Sie, lieber Herr Professor Küng. Die Begegnungen mit Ihnen waren für mich stets etwas ganz Besonderes.«
Oder ein Medienschaffender nach der Lektüre eines Buches: »Als der Postbote den zweiten Band Ihrer Autobiografie brachte, stand ich in den Koffern für eine ausgedehnte Osteuropa-Reise. Klar, dass dafür noch Platz geschaffen wurde (ich hätte zur Not auf Rasierapparat und Zahnbürste verzichtet). – Und so hat mich Ihr Buch begleitet – und hat mich über viele Stationen zurückgeführt in den ›Entwicklungsroman‹ des eigenen Lebens. Es ist faszinierend, die großen Spannungslinien noch einmal nachzuvollziehen, gesehen durch ein anderes Temperament und so intensiv erfahren, erkämpft, erlitten von einem, der wie Sie ›am eigenen Leib‹ betroffen war. Ich will das hier einmal ganz ohne Pathos sagen: Sie ahnen vermutlich nicht, wie wichtig Ihre Rolle für das geistig-geistliche Leben unzähliger Christen (und nicht nur Christen) war. Dass es einen gab und gibt, der in dem uralten Fossil ›Katholische Kirche‹ mit Mut, Fantasie, Esprit immer wieder die Asche von der Glut blies, sodass es den ›Archivaren‹ und ›Regelwerkern‹ schwarz vor Augen wurde, den anderen aber, den Suchern und Abenteurern wieder hell, das ist eine tiefe Freude.«
Und schließlich ein Politiker: »Ich möchte Ihnen aus tiefem Herzen noch einmal – gerade nach der Lektüre dieses Buches (Hans Küng – eine Nahaufnahme) – meinen Dank ausdrücken. Um wirklich zu sagen, was ich im vollen Sinn mit dem Wort ›Dank‹ meine, fehlen mir die Worte. In einem Satz gesagt: Sie haben den Glaubenden den Horizont der Freiheit eröffnet, das Denken und tiefe Sehnen nach Wahrheit, nach Gott und dem wirklichen Jesus befreit für eine ganz neue Wirklichkeit des Menschseins. In Ihrer Theologie finden Menschen sich in ihrem Suchen wahrhaft ernst genommen, als Menschen, die sich bei der Lektüre Ihrer Botschaft ergriffen und befreit fühlen dürfen. Sie setzen ihnen keinen ›Glaubensbefehl‹ vor, keine ihrem realen Dasein fremde hellenistische Formelsprache, sondern den Jesus der Bibel, den jüdischen Menschen in seiner Geschichtlichkeit und zugleich
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