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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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habe, aber wie auch die lateinamerikanischen Befreiungstheologen schon bald feststellen mussten, dass Johannes Paul II. »kein Papst des Dialogs« ist (Bd. 2, Kap. X: Das Drei-Päpste-Jahr 1978);
    – wie ich mich daher nach dem ersten Jahr dieses Pontifikats im Oktober 1979 zu einer weltweit publizierten kritischen, aber durchaus fairen Zwischenbilanz verpflichtet sah, wie man aber in Rom zwei Monate später mein Geleitwort zu August Bernhard Haslers Buch »Wie der Papst unfehlbar wurde« zum Anlass für eine vorweihnachtliche Nacht- und Nebelaktion zum Entzug meiner kirchlichen Lehrbefugnis nutzte (Bd. 2, Kap. XI: Die große Konfrontation);
    – wie dann aber in einer viermonatigen Auseinandersetzung meine Lehrtätigkeit an der Universität Tübingen in einem freieren Rahmen ohne Bindung an eine Fakultät errungen werden konnte (Bd. 2, Kap. XII: Roma locuta – causa non finita).
    Mit JOHANNES PAUL II. WOJTYŁA war die »montinianische« Periode (nach Paul VI. Montini) des Zögerns, der Zurückhaltung, des vorsichtigen Taktierens zu Ende. Aufgrund seiner ersten Enzyklika »Redemptor hominis« (1979) hatte ich noch Hoffnung, der neue Pontifikat dieser in vielem außergewöhnlichen Persönlichkeit stünde unter dem Zeichen eines neu aufgegriffenen christlichen Humanismus, einer neuen Öffnung zur Welt, eines neuen Dialogs mit den christlichen Schwesterkirchen. Und wie sehr hätte ich mich gefreut, wenn päpstlichen Worten, wie zu Zeiten von Johannes XXIII., Taten gefolgt wären!
    Aber auch manche, die meine erste Zwischenbilanz »Ein Jahr Johannes Paul II.« 1979 allzu kritisch fanden, sehen sie im Nachhinein voll bestätigt. Selbstverständlich leugne ich nicht den persönlichen Charme, die Faszination und Publikumswirksamkeit dieses Papstes, die an Pius IX., Pius X. und Pius XII. erinnern. Sie werden jetzt aber durch die schauspielerischen Fähigkeiten des polnischen Papstes und das professionell eingesetzte neue Medium Fernsehen zu einem unevangelischen Personenkult unerhörten Ausmaßes gesteigert. Mir sympathisch sind seine gewisse Weltoffenheit und Sportlichkeit, nicht zu tadeln seine Betriebsamkeit und Reisefreudigkeit, voll zu bejahen selbstverständlich alle sozialen und humanitären Appelle an die Erste, Zweite und Dritte Welt für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde und Menschenrechte …
    Aber immer weniger zu übersehen ist die fatale Diskrepanz zwischen einer im sozialen fortschrittlichen Außenpolitik, die auch die damals noch herrschenden kommunistischen Regime in Osteuropa zu erschüttern hilft, und einer – theologisch wie praktisch – rückschrittlichen Innenpolitik . In seiner polnischen Heimat hat dieser Papst weder unter dem Naziregime noch unter dem Kommunismus eine echte Demokratie kennengelernt, und bewusst-unbewusst überträgt er bestimmte antiwestliche Überzeugungen und ein polnisches Modell von Einheitskirche auf die katholische Weltkirche.
    Schon am Anfang der 1980er-Jahre ist kein Zweifel mehr möglich: Unter diesem Pontifex hat innerkirchlich eine Epoche der Restauration begonnen, die innerkirchlich wie ökumenisch verheerende Auswirkungen haben dürfte. Ein Signal dafür ist die Berufung JOSEPH RATZINGERS zum Präfekten der Glaubenskongregation im Jahr 1981. Vehement wird jetzt wieder eine eng-katholische Identität gefordert und gefördert, wird auf lehrmäßige Rechtgläubigkeit gepocht und werden Primat und Unfehlbarkeit betont. In dem nach dem Konzil revidierten »neuen« (alten) Codex Iuris Canonici, 1983 von Johannes Paul II. promulgiert, wird dem Papst wieder ganz undifferenziert »die höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann« (Kanon 331) zugeschrieben. Nicht unähnlich den totalitären Systemen vertritt dieser Papst wieder totalitäre Wahrheits- und institutionelle Alleinvertretungsansprüche .
    Und wo bleiben die Forderungen des Zweiten Vatikanischen Konzils nach Kollegialität und Pluralität, nach Dialog und Hierarchie der Wahrheiten? Sie werden unbekümmert ignoriert, bestenfalls theoretisch respektiert, praktisch aber überspielt. Menschenrechte, in der Welt gepredigt, werden in der Kirche unterdrückt, die der Frauen und der Priester ganz besonders. Ja, in der römischen Kurie gilt das Vatikanum II nicht mehr als Beginn eines neuen Aufbruchs, den man mit allen Mitteln unterstützen und weiterführen muss, vielmehr als äußerste Möglichkeit einer innerkirchlichen Öffnung, deren

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