Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Priestern, die im Amt bleiben dürfen, wenn sie sich nicht zu Frau und Kind bekennen. Der angebliche Wesensunterschied zwischen geweihten und nichtgeweihten Christen, zwischen Klerus und Laien wird neu betont.
Auch die »politisierten« Basisgemeinden . Zahlreich sind sie vor allem in Lateinamerika, aber auch in manchen europäischen Ländern. Mit Freuden habe ich eine Einladung angenommen, vor dem 8. Nationalkongress der italienischen Basisgemeinden in Florenz zu sprechen. In dem von Michelangelos David »bewachten« Palazzo Vecchio in Florenz finden sich zu meinem Vortrag am 1. Mai 1987 rund 2000 Personen aus 300 Basisgemeinden ein. Das Kongressthema ist die »Laizität in Gesellschaft, Staat und Kirche«. Ich spreche über »Die Lage der katholischen Kirche in der Welt von heute: Analysen und Prospektiven«. Danach nehme ich in dem überfüllten Saal an einer Podiumsdiskussion teil mit so prominenten Persönlichkeiten des italienischen öffentlichen Lebens wie der bedeutende Reformkommunist und langjährige Parlamentsabgeordnete PIETRO INGRAO und der bekannte Theologe und Friedensaktivist ERNESTO BALDUCCI . Man hat sich in diesen Tagen besonders aufgeregt über die lächelnde Begegnung von Papst Wojtyła mit dem chilenischen Diktator und Menschenrechtsverletzer AUGUSTO PINOCHET . Und es ist mir ein Anliegen, die vielfach von der päpstlichen Politik bedrängten Basisgemeinden zu ermutigen und zu inspirieren.
Schließlich die im Konzil für den Vatikan allzu » selbstbewusst« gewordenen Bischöfe : Sie müssen wieder ganz auf römische Linie gebracht werden: »acies ordinata« – »eine geordnete Schlachtordnung«. Romhörige Bischöfe sind zu fördern und befördern, romkritische Bischöfe zu domestizieren. Schon 1972 ist dies selbst im Fall des führenden Reformers Kardinal Suenens gelungen (vgl. Bd. 2, Kap. VII: Die Wende des Reformkardinals Suenens). Nichtkonforme Kandidaten für das Bischofsamt sind nach klaren kurialen Richtlinien (»pro Zölibat«, »contra Empfängnisverhütung und Frauenordination« …) in den Nuntiaturen von vornherein von den Kandidatenlisten zu streichen. Und für die ganze katholische Welt wird ebenfalls Anfang der 1970er-Jahre ein Exempel statuiert: Der fortschrittliche holländische Episkopat wird zunächst durch oktroyierte Ernennungen reaktionärer Bischöfe gespalten, der Kardinalprimas nach Rom zitiert und schließlich der gesamte Episkopat in einer mehrwöchigen Geheim- und Scheinsynode im Vatikan – nicht in den Niederlanden! – total auf römischen Kurs getrimmt (vgl. Bd. 2, Kap. II: Wie Rom eine Kirche bändigt). Eine blühende Kirche welkt – Zeichen für die mehr und mehr winterliche römisch-katholische Kirche.
Allen Protesten aus Kirchenvolk und Klerus zum Trotz bewegt sich die römische Kurie auf der Linie der Repression und wird bei ihren kirchlichen Sanktionen und ihrer gesellschaftlichen Bewusstseinsmanipulation unterstützt von ihren Nuntien und willfährigen Bischöfen und Prälaten in aller Welt, von den deutschen, wie es sich in meinem Fall zeigte, ganz besonders. So gilt manchen Katholiken durchaus konstruktive Kritik am Papst jetzt wieder als Majestätsbeleidigung, ja Lästerung des »Stellvertreters Christi«, gar »Gottes«. Wer sich als Theologe für mich einsetzt, muss sich vorsehen. Der gescheite und tapfere spanische Jesuit Professor Dr. MANUEL FRAIJÓ , immerhin Ratzinger-Schüler, hatte zwei Artikel zu meinen Gunsten in spanischen Zeitschriften geschrieben. Daraufhin erhält der Rektor der Jesuitenuniversität Comillas (Madrid) in Rom von der Glaubenskongregation die Weisung, die Ernennung Fraijós zum ordentlichen Professor nur zu vollziehen, wenn er sich von mir distanziere. Der Rektor: Es würde reichen, wenn Fraijó schreibe, er »hätte es aus Freundschaft gemacht, wäre aber nicht mit mir einverstanden« (13. 5. 1980). Fraijó weist dies zurück, tritt später aus dem Jesuitenorden aus und beginnt eine glänzende Karriere als Professor der Philosophie an einer säkularen Universität.
Anderes Beispiel: mein Schüler Dr. WOLFGANG GRAMER , Priester der Diözese Rottenburg, ein hervorragender Organist, der in Tübingen »magna cum laude« über die Musiktheorie Theodor W. Adornos promoviert hatte. Er wagt etwas Ungeheuerliches. Einen (nicht nur von ihm) als parteiisch (für die CDU) empfundenen Hirtenbrief der Deutschen Bischofskonferenz zur Bundestagswahl 1980 verliest er auf der Kanzel seiner Bonifatiuskirche in
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