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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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von Bruchstücken abgesehen, die vatikanischen und bischöflichen Quellen zum ›Gegenlesen‹. Doch bis sie vorliegen – wenn überhaupt –, kann es lange dauern – und bis dahin dürfte Küngs Sicht der Dinge mit ihrer Fülle von Details unangefochten die historische Szene beherrschen. (Auch in der Forschung gilt der Satz: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben).« 2
    Hans Maier, der sogar Verständnis für das Geschick eines Theologen durchschimmern lässt, der »zwar ein evangelischer Katholik, nicht aber ein katholischer Protestant« und jedenfalls »kein Einzelkämpfer« sein will, bringt das Problem auf den Punkt: »Keiner fragt als Theologe so direkt, so unbefangen, so undiplomatisch, so intellektuell zugespitzt wie Küng. Keiner beharrt so nachdrücklich darauf, dass seine Fragen ernstgenommen, dass sie diskutiert und beantwortet werden. Kein Wunder, dass der Streit immer mehr eskaliert, dass es am Ende zwischen dem Theologen und dem kirchlichen Amt um Biegen und Brechen geht. Ist es ein Streit um die Wahrheit, fragt Küng, oder geht es am Ende nur um die Macht – die Machtverteilung in der nachkonziliaren Kirche?« Ich bin Hans Maier für diese offenen Worte dankbar.
    Dialektik von Strukturen und Personen
    Nein, ich bin nicht autoritäts- und erst recht nicht papstfixiert. Ich denke nicht daran, die angesprochenen Probleme auf das Papsttum zu verengen, gar den Konflikt, in dem ich persönlich stehe, zu generalisieren. Aber jeder realistische Beobachter der Christenheit kann die reale Bedeutung des Papsttums für die katholische Kirche, wie sie nun einmal geworden ist, nicht übersehen. Ohne den Papst ist die »römisch-katholische« Kirche so wenig ökumenisch handlungsfähig wie die amerikanische Demokratie ohne ihren Präsidenten. Dabei sind die Vollmachten des Chefs der amerikanischen Exekutive in der Verfassung sehr eingeschränkt (durch den Kongress und das Oberste Gericht) – im Vergleich zum Papst. Dem hat ja das Vatikanum I (1870) die absolute Jurisdiktionsgewalt über jede Kirche und jeden einzelnen Christen und eine unfehlbare Lehrautorität zugeschrieben, sodass in ihm ohne alle Gewaltenteilung die oberste legislative, exekutive und judikative Gewalt zusammenfallen. Wer Genaueres über dieses System wissen will, lese es nach in den leider noch ganz und gar aktuellen Büchern »Unfehlbar? Eine Anfrage« (1970) und »Fehlbar? Eine Bilanz« (1973).
    Eine gewisse Personalisierung der innerkirchlichen Probleme lässt sich hier kaum vermeiden. Historiker haben ja viel darüber diskutiert: Machen Menschen, Männer und Frauen, Geschichte – oder umgekehrt? Heutige Historiographie ist mehr als je zuvor Sozialgeschichte, sie ist nicht in erster Linie an den »welthistorischen Individualitäten« (Hegel) orientiert, sondern an strukturellen Bedingungen und gesellschaftlichem Wandel. Doch die Diskussion unter den Historikern hat ergeben, dass die in einem bestimmten Rahmen handelnden Menschen nicht vernachlässigt werden dürfen. Kurz, in der konkreten Geschichte gibt es eine Dialektik von Strukturen (Institutionen, Organisationen) und Personen!
    Für die Interpretation der kirchlichen Zeitgeschichte bedeutet dies: Papst Wojtyła (und sein Nachfolger Ratzinger) sind Produkte – um nicht zu sagen Opfer – des absolutistischen Herrschaftssystems, das durch die Päpste des 11.   Jahrhunderts durchgesetzt wurde. Insofern darf der restaurativ-reaktionäre Kurs der heutigen Päpste nicht einfach ihrer persönlichen Unwilligkeit, Macht abzugeben, zugeschrieben werden.
    Aber zugleich sind die Päpste nach heutigem Kirchenrecht noch immer Herren dieses mittelalterlichen Herrschaftssystems. Sie können es (wie Johannes XXIII.) verändern. Sie könnten es sogar (wie von Reformern gewünscht) zum Wohl der katholischen Kirchengemeinschaft abschaffen. Das heißt: Sie könnten der vom Konzil angestrebten, mehr von der Bibel inspirierten, kollegial-demokratischen Kirchenordnung zum Durchbruch verhelfen. Sie könnten eine Grundsatzdiskussion über das Unfehlbarkeitsproblem mit all seinen ökumenischen Konsequenzen in Gang setzen. Sie könnten, aber tun es nicht. Über die persönliche Schuld bei alledem ist hier nicht zu urteilen, über die persönliche Verantwortung sehr wohl.
    Der Papst der Restauration: Karol Wojtyła
    Im zweiten Band meiner Erinnerungen unter dem Titel »Umstrittene Wahrheit« habe ich ausführlich dargelegt
    – wie ich die Wahl des Papstes aus Polen, Karol Wojtyła, durchaus begrüßt

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