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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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antiökumenische Dokument »Dominus Iesus« der römischen Glaubenskongregation unter Kardinal Joseph Ratzinger vom Juli 2000 über die römisch-katholische Kirche als die einzig wahre Kirche, das nicht nur die Protestanten, sondern auch viele Katholiken entsetzt hat, ist ein Dokument des perspektiv- und visionslosen Stillstands. Es war weithin durch das Dekret derselben Kongregation vom 18. Dezember 1979 gegen mich antizipiert worden. Verurteilt wurden schon damals drei zentrale ökumenische Desiderate:
    – die ökumenische Aufarbeitung der Unfehlbarkeits- und Primatsproblematik,
    – die Anerkennung protestantischer und anglikanischer Ämter und Abendmahlsfeiern,
    – die Möglichkeit eines übergreifenden ökumenischen Verständnisses der Eucharistie.
    Mit Wehmut erinnere ich mich angesichts der neuen restaurativen Politik des polnischen Papstes an die 1960er-Jahre:
    Da war doch ein italienischer Papst, der weniger von der Ökumene redete als für die Ökumene handelte und der die unter seinem Vorgänger abgesetzten, verbannten oder sonstwie gemaßregelten Theologen nach Rom berief: JOHANNES XXIII .
    Da nahm ich doch an einem ökumenischen Konzil teil, das anders als spätere römische Synoden nicht nur die sattsam bekannte römische Lehre wiederholte, sondern Anliegen von Reformation und Aufklärung realisierte und Hoffnungen weckte auf eine Überwindung der mehr als 450 Jahre andauernden katholisch-protestantischen Kirchenspaltung und der doppelt so langen westlich-östlichen: das Vatikanum II .
    Da kam damals auf meine Einladung hin der römische Kurienkardinal AUGUSTIN BEA , Präsident des neuen vatikanischen Einheitssekretariates, an die Universität Tübingen, würdigte im Festsaal die ökumenischen Verdienste der katholischen Tübinger Theologenschule und diskutierte mit katholischen und evangelischen Professoren.
    Da öffneten die Professoren der Evangelisch-Theologischen Fakultät ihre Arbeitsgemeinschaft für die Kollegen der katholischen Schwesterfakultät.
    Da fing man an, gemeinsam Seminare zu halten, gegenseitig Seminarscheine anzuerkennen, ökumenische Gottesdienste zu feiern und die Integration der beiden großen Bibliotheken zu planen. Alles in allem ein ökumenisches Klima, das sich gerade im ursprünglich protestantischen Tübingen als äußerst fruchtbar erwies.
    Nun aber in den 1980er-Jahren hat sich die Großwetterlage erneut verändert : Ein stationäres ökumenisches Tief hat sich von Rom aus über die Alpen, ja weite Gebiete der Christenheit ausgebreitet. Unter Papst PAUL VI. hatte das ökumenische Barometer noch lange auf »veränderlich« gestanden. Starke kuriale Gegenströmungen hatten indes schon seit dem Konzil die ökumenischen Erneuerungsbewegungen zu bremsen versucht und in den oberen Regionen zum Stillstand gebracht. Kurienkardinäle jetzt zwar anderer Nationalität, aber nicht anderer Mentalität verstärkten eher die Romanität als die Ökumenizität. Das Sanctum Officium der Inquisition änderte wieder einmal den Namen, ein wenig auch die Methoden, aber kaum den Geist und das Ziel.
    Anfangs kommen noch kritische Stimmen aus dem Episkopat wie Kardinal Suenens (Mechelen-Brüssel), Kardinal Lercaro (Bologna), die kanadischen und holländischen Bischöfe, aber sie verstummen bald, da sie im übrigen Episkopat, besonders im deutschen und französischen, keine Unterstützung finden. Die Kurie nutzt den von ihr erzwungenen Kompromisscharakter bestimmter Konzilstexte über Kollegialität und päpstlichen Primat, über Geburtenregelung und Gewissensentscheidung, um sie nach rückwärts zu interpretieren. Und vor allem: drängende Fragen wie Empfängnisverhütung, Zölibatsgesetz, Ehescheidung und andere ökumenisch relevante Fragen, die auf dem Konzil nicht diskutiert werden durften, werden nach dem Konzil – mit schamloser Berufung auf ebendieses Konzil – negativ entschieden (Bd. 2, Kap. I: Römische Provokationen). Statt selber etwas für ökumenische Verständigung zu tun, fordert man die Gläubigen immer wieder zum Gebet auf und die Gelehrten zu weiteren Studien. Ansonsten übt man sich in folgenlosen ökumenischen Besuchen und Gesten, Höflichkeiten und Allgemeinplätzen.
    Die Folge dieser verhängnisvollen nachkonziliaren Entwicklung: eine Polarisierung an der Basis der katholischen Kirche, wie man sie zur Zeit der epochalen Wende unter Johannes XXIII. nicht gekannt hatte. Immerhin, noch unter PAUL VI. wird die Volkssprache schließlich doch auch im Kern (Kanon)

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