Erloest
Arthur.
»Henry Stainthorpe hat es mir erzählt«, erklärt er mir. »Er ist im Moment in London und hat Yuuto im Savoy gesehen.« Durchdringend und fast flehend sieht er mich an. »Hat er schon versucht, Kontakt zu Jonathan aufzunehmen?«
»Nein«, sage ich, obwohl ich das gar nicht sicher weiß. Schmerzhaft wird mir noch einmal bewusst, dass Jonathan in letzter Zeit wirklich sehr schweigsam war, was seine Termine angeht. Aber er hätte mir doch erzählt, wenn er Yuuto trifft, oder?
»Du musst das verhindern, Grace.« Arthur ist ganz aufgeregt. »Yuuto darf sich nicht wieder in Jonathans Leben drängen. Auf keinen Fall!«
Abwehrend schüttele ich den Kopf. »Das kann ich nicht verhindern, Arthur. Aber ich glaube auch nicht, dass das überhaupt nötig ist. Jonathan ist schließlich sehr gut in der Lage, so etwas selbst zu entscheiden. Wenn er sich mit Yuuto treffen wollte, dann hätte er es außerdem längst tun können. Daran hatte er aber kein Interesse, und ich glaube nicht, dass sich das geändert hat.«
Ich hoffe es jedenfalls, denke ich und lächle meinen Schwiegervater an, um ihm die Sorge zu nehmen, die ich in seinem Blick sehe. Ist jedoch gar nicht so leicht, denn auch an mir nagen plötzlich Zweifel.
»Ich weiß nicht«, beharrt Arthur, den mein Argument offensichtlich nicht beruhigt. »Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache. Wieso taucht der Kerl plötzlich wieder auf, nachdem er England so lange den Rücken gekehrt hatte? Das hängt mit Jonathan zusammen, ich weiß es. Und es bedeutet Ärger. Ich kenne Yuuto, er ist rachsüchtig. Wenn er kann, dann wird er Jonathan schaden – und dir und mir, da bin ich ganz sicher.«
»Unsinn, Arthur«, beschwichtige ich ihn. »Der Streit zwischen ihm und Jonathan ist doch jetzt schon fast zwei Jahre her. Es kann hundert Gründe geben, warum er gerade in London ist.«
»Aber …«
»Jonathan regelt das schon«, unterbreche ich Arthurs Protest. »Du brauchst dir deshalb keine Sorgen zu machen, es ist bestimmt alles …«
Ohne Vorwarnung verengt sich plötzlich mein Sichtfeld, wird zu einem kleinen Punkt in einem schwarzen Kreis, und ich spüre, wie mir schwindelig wird. Hastig halte ich mich an der Tischkante fest und versuche, ruhig zu atmen.
»Grace! Alles in Ordnung mit dir?« Arthur umfasst meinen Oberarm und sieht mich erschrocken an. »Ist dir nicht gut?«
»Geht schon wieder. Mein … Blutdruck ist im Moment ein bisschen zu niedrig«, erkläre ich ihm und habe sofort ein schlechtes Gewissen, weil ich ihm nicht die Wahrheit sage.
Arthur würde sich nämlich uneingeschränkt über die Aussicht freuen, bald einen Enkel und Erben zu haben, das wünscht er sich schon sehr lange. Er wäre sicher überglücklich. Aber bevor sein Vater es erfährt, muss ich es zuerst Jonathan beichten – was ich noch nicht getan habe, obwohl ich es jetzt schon seit fast einer Woche weiß. Manchmal glaube ich, vor Freude beinah zu platzen, dann wieder wird mir vor Angst ganz kalt, doch ich finde es einfach immens wichtig, in dieser Sache den richtigen Moment abzupassen – und der hat sich einfach noch nicht ergeben. Jonathan hatte in den letzten Tagen nur ganz wenig Zeit für mich, war ständig unterwegs und musste lange arbeiten.
Wobei ich mich jetzt frage, ob er das wirklich getan hat. Was, wenn er sich stattdessen mit Yuuto getroffen hat? Wenn er tatsächlich darüber nachdenkt, sein altes Leben wieder aufzunehmen? Plötzlich scheint sein merkwürdiges Verhalten einen perversen Sinn zu ergeben. Wollte er deshalb, dass meine Familie kommt? Damit ich abgelenkt bin und nicht merke, dass er mir etwas verschweigt? Nein, das ist absurd. Was sollte Jonathan nach all der Zeit noch von dem Japaner wollen? Ganz sicher gibt es eine andere Erklärung, denke ich, beschließe aber dennoch, möglichst bald herauszufinden, ob die beiden wieder Kontakt miteinander haben oder nicht.
»Vielleicht musst du etwas essen, damit es dir besser geht. Du bist viel zu blass«, sagt Arthur, der immer noch mit meinem Schwindelanfall beschäftigt ist, und greift nach der Karte. Doch ich winke ab.
»Sei mir nicht böse, aber ich habe im Moment so viel zu tun. Wenn es dir nichts ausmacht, dann breche ich wieder auf.« Bevor er protestieren kann, erhebe ich mich und umarme ihn zum Abschied. Doch als ich gehen will, hält er mich am Arm fest, sieht mich durchdringend an.
»Versuch es wenigstens, Grace, ja? Versuch Yuuto von Jonathan fernzuhalten. Ich will ihn nicht noch mal verlieren.« Seine
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