Erloest
im Fahrstuhl bis nach oben in die Chefetage fahre, wo Jonathans Büro liegt. Ich werde reingehen und das Gespräch stören – schließlich bin ich Jonathans Frau. Daran kann sie mich nicht hindern, und daran werde ich mich auch nicht hindern lassen.
Doch als ich oben ankomme, sitzt Catherine gar nicht auf ihrem Platz zwischen den beiden Bürotüren von Jonathan und Alexander. Sie ist anscheinend kurz im Haus unterwegs, und im Moment ist mir das sehr recht.
Nach einem schnellen Blick zu Alexanders Tür – er ist nicht da, fällt mir ein, Jonathan hat gestern erwähnt, dass er für ein paar Tage auf Geschäftsreise geht – halte ich zielstrebig auf Jonathans Tür zu und drücke die Klinke herunter, bevor mich der Mut verlässt.
Die Tür ist schwer und öffnet sich leise, schwebt quasi über den dicken Teppichboden, der hier oben überall liegt, sodass die beiden Männer, die ganz hinten in dem weitläufigen Büro stehen, es gar nicht bemerken.
Yuuto sitzt mit dem Rücken zu mir im Besucherstuhl vor Jonathans Schreibtisch, er kann mich ohnehin nicht sehen, und Jonathan steht vor der raumhohen Glasfront und blickt hinaus auf die eindrucksvolle Skyline von London.
»… wie ich schon sagte – es war ein Fehler«, höre ich ihn sagen, als ich den Raum gerade betreten will, und seine Worte lassen mich erstarren. Eine eiskalte Hand greift nach meinem Herzen, und der Zorn, der mich bis hierhergebracht hat, verlässt mich schlagartig, weil ich auf einmal ganz sicher bin, dass er damit unsere Ehe meint.
Plötzlich möchte ich nicht mehr, dass er merkt, dass ich da bin, deshalb schließe ich die Tür rasch wieder – bis auf einen Spalt. Ich kann die beiden Männer jetzt nicht mehr sehen, nur noch hören.
»Der größte Fehler meines Lebens sogar«, fährt Jonathan fort, und seine Stimme klingt ganz anders als sonst. Eiskalt. Wütend. So habe ich sie schon lange nicht mehr gehört, und ich spüre, wie mein Herz plötzlich schmerzhaft schnell gegen die Rippen hämmert. »Aber ich bin dabei, ihn zu korrigieren.«
»Tatsächlich?«, erwidert jetzt Yuuto, und beim Klang seiner Stimme läuft mir ein Schauer über den Rücken. »Ist es dafür nicht zu spät?«
»Nein, ist es nicht«, beharrt Jonathan. »Ich kann es, und ich werde es tun. Ich lasse mir nicht alles ruinieren.« Seine Stimme kommt näher, offenbar geht er durch sein Büro auf die Tür zu, was mich aus meiner Erstarrung reißt.
Er darf mich hier nicht erwischen, und ich muss außerdem weg sein, bevor Catherine Shepard zurück ist – denn sie würde Jonathan natürlich sofort erzählen, dass ich da war. Deshalb drehe ich mich um und will zurück zum Fahrstuhl laufen.
Doch ich bin so aufgeregt und zittrig, dass ich mit voller Wucht gegen Catherines Schreibtisch renne. Mein Knie schlägt hart gegen das Tischbein, und als ich mich mit den Händen abfangen will, reiße ich aus Versehen einen Stapel Papiere von der Tischplatte, die in alle Richtungen zu Boden segeln. Fast panisch hetze ich weiter zum Fahrstuhl, dessen Türen zum Glück noch geöffnet sind, weil ihn bisher keiner angefordert hat, nachdem er mich hier rauf transportiert hat. Ich drücke auf irgendeinen Knopf, damit die Türen sich möglichst zügig schließen, was sie zum Glück auch tun – in der Sekunde, in der Jonathans Bürotür sich öffnet. Ich erhasche noch einen ganz kurzen Blick auf ihn, dann sind die Türen zu, und die Kabine bewegt sich nach unten.
Ich glaube nicht, dass er gesehen hat, wer da so ein Chaos in seinem Vorzimmer verursacht hat, und sinke ganz schwach vor Erleichterung gegen die Fahrstuhlwand. Ich wäre definitiv vor Scham gestorben, wenn er mich beim Lauschen erwischt hätte. Und ich brauche auch erst mal Zeit, um zu verdauen, was ich gerade gehört habe.
Ich kann das immer noch nicht fassen und spüre, wie mir heiße Tränen in die Augen steigen, als ich mir Jonathans Worte in Erinnerung rufe. Findet er wirklich, dass ich der größte Fehler seines Lebens bin? Das ist so krass. Aber er muss mich gemeint haben, denn ich kenne Jonathan – er klingt anders, wenn er über Geschäftliches redet, viel gelassener. Nein, was er zu Yuuto gesagt hat, war persönlich. Es ging um ihn, und er klang wütend. Und sehr entschlossen.
Als die Fahrstuhltüren sich wieder öffnen, sehe ich, dass ich offenbar den Knopf für die Investmentabteilung erwischt habe. Ich bin zwar längst in die Planungsabteilung gewechselt, aber diese Abteilung ist mir auch vertraut, hier habe ich damals
Weitere Kostenlose Bücher