Erloest
Stimme klingt belegt. Er hat wirklich Angst davor, dass sein Sohn sich ihm wieder so entfremden könnte wie früher, und diese Befürchtung kann ich gut verstehen.
»Das wird nicht passieren, Arthur. Mach dir keine Sorgen«, beruhige ich ihn noch einmal und lächle ihn an.
Das Lächeln stirbt jedoch auf meinen Lippen, sobald ich mich umgewandt habe, und ich hole im Gehen mein Smartphone aus meiner Tasche, wähle hastig Jonathans Handynummer.
Der Anruf geht durch, als ich gerade die Tür aufstoße und auf die Straße trete, doch es klingelt nur zwei Mal, dann höre ich plötzlich ein Besetztzeichen. Fassungslos bleibe ich stehen und starre auf das Handy.
Jonathan hat mich noch nie weggedrückt, wenn ich ihn angerufen habe, und dass er es gerade jetzt tut, macht den Knoten in meinem Magen noch ein bisschen enger und schmerzhafter. Schnell setze ich mich wieder in Bewegung – es ist nicht weit vom »Globe« bis zum Huntington-Ventures-Gebäude, nur ein kurzer Fußweg – und wähle statt der Handynummer die Durchwahl zu seinem Büro. Doch er geht nicht selbst dran, dafür meldet sich Catherine Shepard mit ihrer stets überkorrekten Stimme. Sie nimmt Jonathans Telefonate entgegen, wenn er im Gespräch ist, und das beruhigt mich fast. Vielleicht ist die Unterhaltung, die er führt, gerade so wichtig, dass er nicht mit mir sprechen konnte. Merkwürdig bleibt es aber trotzdem, dass er meinen Anruf ignoriert.
»Catherine, hier ist Grace«, sage ich und sehe förmlich vor mir, wie das Lächeln auf dem schönen Gesicht von Jonathans Sekretärin einfriert. Sie hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie mich nicht leiden kann und mir Jonathans Liebe nicht gönnt – ich glaube, sie gehört zu den durchaus zahlreichen Mitarbeiterinnen bei Huntington Ventures, die da selbst Ambitionen hatten –, aber sie reißt sich zusammen, seit Jonathan sie einmal ganz klar in ihre Schranken verwiesen hat. Sie würde sich nie mehr die Blöße geben, mich öffentlich zu brüskieren, schon gar nicht, seit ich Jonathans Frau bin. Aber deswegen hat sich an ihrer Einstellung zu mir nichts Grundlegendes geändert, das weiß ich.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragt sie schon fast zu freundlich.
»Ich versuche, Jonathan zu erreichen. Ist er da?«
»Ja, ist er. Aber er hat gerade Besuch und möchte nicht gestört werden«, erklärt sie mir.
»Und wer ist bei ihm?«, will ich wissen.
Sie zögert einen Moment. »Mr Nagako«, sagt sie dann, und ich glaube, einen gewissen Triumph in ihrer Stimme zu hören. »Soll ich Ihrem Mann etwas ausrichten?«
»Nein, nicht nötig. Danke«, bringe ich noch heraus, dann lege ich hastig wieder auf.
Dann stimmt es also, denke ich und muss mich an der Laterne festhalten, an der ich gerade vorbeikomme, weil der Boden unter mir schon wieder schwankt. Yuuto ist zurück. Und Jonathan ist nicht nur bereit, sich mit ihm zu treffen, sondern er findet das offenbar auch so wichtig, dass er dabei von niemand gestört werden will.
Ich brauche einen Moment, bis der Schwindel abebbt und ich wieder weitergehen kann, doch als ich es tue, spüre ich, wie mein Kampfgeist erwacht. Er hat eine heiße Wut im Schlepptau, die mir sehr viel willkommener ist als die Verzweiflung, die mich kurz fast übermannt hätte.
Okay, Grace, es gibt jetzt nur zwei Möglichkeiten, erkläre ich mir selbst, die eine Hand an der Handtasche, die andere zur Faust geballt. Entweder du beendest deinen Tag so, wie er geplant war, und stellst Jonathan heute Abend zu Hause zur Rede – oder du gehst jetzt gleich hin und klärst das. Die erste Variante wäre vermutlich die vernünftigere – schließlich habe ich keine Ahnung, worum es bei dem Gespräch zwischen Jonathan und Yuuto geht. Es kann etwas Geschäftliches sein oder der Versuch des Japaners, sich nach all der Zeit mit Jonathan auszusöhnen. Das glaube ich zwar nicht – dafür halte ich Yuuto Nagako für zu nachtragend –, aber möglich wäre es dennoch, und es wäre sehr peinlich, wenn ich da jetzt reinplatze und Jonathan eine Szene mache. So etwas schätzt er gar nicht – zu Recht.
Aber schon als ich es denke, weiß ich, dass ich es keinesfalls noch bis heute Abend aushalte. Ich muss jetzt wissen, was da los ist und wieso Jonathan mich angelogen hat.
Die letzten Schritte bis ins Huntington-Gebäude laufe ich fast, drossele mein Tempo erst, als ich in Sichtweite der Empfangsdame unten im Foyer bin und lächle ihr zu. Es ist mir ganz egal, was Catherine sagen wird, denke ich, während ich
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