Erlösung
was er hatte erlebenmüssen, den stärksten Eindruck auf Martin Holt und seine Frau.«
Assad zog die Schultern bis an die Ohren hoch und schüttelte sich. »Wenn das meine Kinder gewesen wären …« Er zog den Zeigefinger über den Kehlkopf und ließ den Kopf zur Seite fallen.
Carl hatte keinerlei Zweifel, was Assad damit meinte. Dann sah er wieder auf seinen Block. »Ja, am Ende erzählte mir Martin Holt noch etwas, das sich als nützlich erweisen könnte.«
»Und was?«
»Am Autoschlüssel des Entführers hing eine kleine Bowlingkugel mit einer 1 darauf.«
Das Telefon auf Carls Schreibtisch klingelte. Wahrscheinlich Mona, die sich für sein Entgegenkommen bedanken wollte.
»Vizepolizeikommissar Carl Mørck«, polterte Klaes Thomasen am anderen Ende, »ich will dir nur sagen, dass wir das gute Wetter heute Morgen ausgenutzt haben. Meine Frau und ich haben die restliche Route abgetuckert. Soweit wir es beurteilen können, ist vom Wasser aus nichts zu sehen, aber an mehreren Stellen war der Bewuchs bis zum Ufer sehr dicht, uneinsehbar. Diese Stellen haben wir auf der Karte markiert.«
Wieder mal hätten sie ein bisschen vom guten alten Glück brauchen können.
»In welcher Gegend ist die Wahrscheinlichkeit deiner Meinung nach denn am größten?«, fragte Carl und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus.
»Tja.« Man konnte hören, wie Thomasen am anderen Ende an seiner Pfeife zog und paffte. Also stand er noch immer auf der Mole. »Wahrscheinlich sollten wir uns auf Østskov unten bei Sønderby sowie auf Bognæs und das Waldgebiet Nordskoven konzentrieren. Da gab es mehrere Stellen, wo die Vegetation bis ins Wasser reichte. Aber, wie gesagt, wir haben nichts gefunden, das mit Sicherheit passt. Nachher rede ichmit dem Revierförster von Nordskoven. Mal abwarten, ob uns das weiterbringt.«
Carl hatte sich die drei Örtlichkeiten notiert und bedankte sich. Versprach, Thomasens alte Kollegen zu grüßen. Die arbeiteten zwar schon seit mehreren Jahren nicht mehr im Präsidium, aber das musste Thomasen ja nicht wissen. Damit war der Austausch an Höflichkeiten abgeschlossen.
»Null«, sagte Carl, als er sich Assad zuwandte. »Nichts Konkretes von Thomasen. Allerdings deutete er an, dass an diesen drei Stellen hier eine Möglichkeit bestehen könnte.« Er zeigte sie Assad auf der Karte. »Wir müssen abwarten, ob Yrsa etwas Brauchbares für uns hat, und das dann abgleichen. Derweil kannst du mit deinen Sachen weitermachen.«
Nach einer halben Stunde erquickender Entspannung mit den Füßen auf dem Tisch holte ihn ein Kitzeln unter der Nase zurück in die harte Wirklichkeit. Verärgert schüttelte Carl den Kopf und schlug die Augen auf. Da erlebte er sich selbst als Gravitationspunkt für ein Geschwader grün-bläulicher Schmeißfliegen. Sie waren offenkundig auf der Suche nach etwas anderem als dem Zuckerkram auf der Zigarettenpackung.
»Scheißfliegen!«, rief er und schlug um sich. Jetzt reichte es ihm endgültig.
Er spähte in seinen Abfallkorb, obwohl es Wochen her war, seit er zuletzt etwas hineingeworfen hatte. Der Abfall lag immer noch da. Aber Organisches, von dem man sich vorstellen könnte, dass es gierige Schmeißfliegen anlockte, war nicht dabei.
Carl ging auf den Korridor, wo eine weitere Fliege unterwegs war. Ob womöglich eine von Assads exotischen Mahlzeiten zum Leben wiedererweckt war? Vielleicht hatte sein Tahin angefangen zu krabbeln? Oder in dem nach Rosenwasser stinkenden Turkish-Delight waren Fliegeneier mitimportiert worden, aus denen es jetzt munter schlüpfte?
»Weißt du, woher diese ganzen Fliegen kommen?«, herrschte er Assad an, noch ehe er dessen Streichholzschachtel von einem Büro betreten hatte.
Der Geruch dort drinnen war durchdringend. Weit entfernt von dem gewöhnlichen Zuckerstandard. Es stank eher so, als habe Assad mit einem Zippo-Feuerzeug gespielt.
Assad hob abwehrend eine Hand. Hoch konzentriert saß er mit dem Telefonhörer am Ohr da. »Ja«, sagte er mehrmals. »Aber wir sind nun mal gezwungen, vorbeizukommen und es uns selbst anzusehen«, fügte er hinzu. Seine Stimme klang jetzt etwas tiefer und er sah auch würdevoller aus als gewöhnlich. Er verabredete eine Zeit und legte dann auf.
»Ich hab gefragt, ob du weißt, woher all diese Fliegen kommen?«, wiederholte Carl und deutete auf ein paar Exemplare, die sich auf einem hübschen Plakat mit Dromedaren und Sanddünen niedergelassen hatten.
»Carl, ich glaub, ich hab eine Familie gefunden.« Assad
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