Erlösung
Westjütland geschrieben stand.
Carl nickte ihnen zu und bot Martin Holt mit einer Handbewegung an, sich zu setzen. »Bitte nehmen Sie Platz.«
Er wandte sich an die beiden Polizisten. »In dem kleinen Büro gegenüber sitzt mein Assistent. Der wird euch gern eine Tasse Tee machen, Kaffee würde ich nicht empfehlen. Ich gehe davon aus, dass ihr bleibt, bis ich fertig bin. Dann könnt ihr Martin Holt mit zurücknehmen.«
Weder die Aussicht auf Tee noch auf die Wartezeit schien den beiden sonderlich zu behagen, um es freundlich auszudrücken.
Martin Holt sah anders aus als neulich an der Haustür inHallabro. Da war er halsstarrig gewesen, jetzt wirkte er erschüttert.
»Woher wussten Sie, dass ich in Dänemark bin?« Das war das Erste, was er sagte. »Überwachen Sie mich?«
»Martin Holt, ich kann mir vorstellen, was Sie und Ihre Familie in den vergangenen dreizehn Jahren durchgemacht haben. Sie müssen wissen, dass wir hier im Dezernat mit Ihnen, Ihrer Frau und Ihren Kindern großes Mitgefühl haben. Wir wollen Ihnen nichts Böses, davon hatten Sie schon mehr als genug. Aber Sie müssen auch wissen, dass wir keine Mittel und Wege scheuen werden, um den Mörder von Poul zu ergreifen.«
»Poul ist nicht tot. Er ist irgendwo in Amerika.«
Wenn dieser Mann wüsste, wie sehr sein Körper verriet, dass er log, dann hätte er wohl lieber den Mund gehalten. Die Hände, die sich verkrampften. Der Kopf, der unmerklich zurückwich. Die Pause vor dem Wort »Amerika«. Das und vier, fünf andere Sachen fielen Carl auf, der dafür ein unbestechliches Auge hatte nach jahrelanger Arbeit mit jenem Teil der dänischen Bevölkerung, der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm.
»Haben Sie je daran gedacht, dass andere Menschen in derselben Situation gewesen sein könnten wie Sie?«, fragte Carl. »Dass Pouls Mörder noch immer auf freiem Fuß ist? Dass er vor und nach Poul gemordet haben kann?«
»Ich sagte doch, dass Poul in Amerika ist. Hätte ich Kontakt zu ihm, würde ich Ihnen sagen, wo er sich aufhält. Kann ich jetzt gehen?«
»Jetzt vergessen wir mal die Welt da draußen. Ich weiß, dass es bei Ihnen Dogmen und Regeln gibt. Aber wenn Sie eine Möglichkeit sähen, mich ein für alle Mal loszuwerden, dann würden Sie die Gelegenheit doch beim Schopf packen, stimmt’s?«
»Sie können gern die Beamten dort drüben holen. Hier handeltes sich um ein großes Missverständnis. Ich habe schon in Hallabro versucht, Ihnen das klarzumachen.«
Carl nickte. Der Mann hatte noch immer Angst. Dreizehn Jahre voller Angst hatten ihn gegenüber jedem Versuch abgehärtet, ein Loch in die Glasglocke zu schlagen, unter die er sich mit seiner Familie zurückgezogen hatte.
»Wir haben mit Tryggve gesprochen«, sagte Carl und schob dabei die Phantomzeichnung zu dem Mann hinüber. »Wie Sie sehen, haben wir bereits ein Gesicht des Täters. Ich hätte gern Ihre Darstellung des Falls, vielleicht kann uns das weiterbringen.« Er pflanzte seinen Finger so nachdrücklich auf die Zeichnung, dass Martin Holt erschrocken zusammenzuckte.
»Ich versichere Ihnen eines. Kein Außenstehender weiß, dass wir ihm so dicht auf den Fersen sind. Sie können also ganz beruhigt sein.«
Martin Holt riss sich von der Zeichnung los und sah Carl in die Augen. Seine Stimme zitterte. »Glauben Sie, es wird leicht, der Ältestenschaft der Zeugen Jehovas zu erklären, warum mich die Polizei vor aller Augen aus dem Königreichssaal herausgeholt hat? Glauben Sie nicht, dass auch andere wissen, was los ist? Ihr seid ja nicht unbedingt diskret.«
»Sie hätten mich ja in Schweden ins Haus lassen können, dann wäre das hier nicht nötig gewesen. Ich bin die lange Strecke bis dorthin gefahren, weil ich Hilfe wollte bei der Suche nach Pouls Mörder.«
Martin Holt ließ die Schultern sinken und blickte wieder auf die Zeichnung. »Das ist ziemlich gut getroffen«, sagte er. »Aber seine Augen waren nicht so engstehend. Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen.«
Carl stand auf. »Ich werde Ihnen etwas zeigen, was Sie noch nie gesehen haben.« Er bat ihn, ihm zu folgen.
Aus Assads Raum war Lachen zu hören. Dieses eigentümliche polternde Lachen der Westjütländer, das ursprünglich vermutlich dazu gedient hatte, den Motorenlärm eines Kuttersim Sturm zu übertönen. Doch ja, Assad hatte wahrlich das Zeug zu einer Stimmungskanone. Carl brauchte sich also nicht zu beeilen.
»Schauen Sie sich mal an, wie viele unaufgeklärte Fälle wir hier haben«, sagte er, und Martin Holt
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