Erlösung
lächelte sie ihn scheinbar mit letzter Kraft an, und er bedankte sich und ließ sie weiterziehen.
Isabel kommunizierte nicht. Eigentlich eine gute Nachricht. Nun galt es, die Situation zu nutzen.
Er presste die Lippen zusammen und stahl sich den Gang hinunter. Am besten wäre es wohl, wenn er nachher, bei seiner Flucht, den Fahrstuhl nahm, aber sicherheitshalber musste er sich auch nach anderen Fluchtwegen umsehen.
Er kam an Zimmern vorbei, in denen Menschen in größter Not lagen und Ärzte und Schwestern ruhig und entschlossen ihrer Arbeit nachgingen. Im Überwachungsraum saßen mehrere Personen in weißen Kitteln und beobachteten konzentriert die Monitore. Sie sprachen gedämpft. Alles wirkte sehr kompetent.
Ein Krankenpfleger ging an ihm vorbei und wunderte sich vielleicht, was er dort machte. Dann lächelten sie sich an, und er ging unbehelligt weiter.
Die Wände waren farbig gestaltet. Überall hingen Malereien. Sogar Glasmalereien. Alles strahlte Leben aus. Der Tod war hier nicht willkommen.
Er umrundete eine rote Wand und stellte fest, dass es einen Gang parallel zu dem gab, auf dem er eben gekommen war. Auf der linken Seite bestand er anscheinend aus lauter kleinen Arbeitsräumen. Jedenfalls waren neben den Türen Schilder mit Namen und Titeln angebracht. Er sah nach rechts und rechnete damit, wieder bei der Rezeption herauszukommen, wenn er diesen Weg weiterverfolgte. Allerdings wirkte der bei genauerem Hinsehen abgesperrt. Aber dort entdeckte er noch einen Aufzug. Vielleicht sein Fluchtweg.
Den Kittel sah er an der Tür eines Raums hängen, in dem Bettwäsche und diverse Utensilien auf Regalen lagen. Er sollte vermutlich in die Wäsche, so wie anderes dort.
Er machte einen schnellen Schritt zur Seite, griff sich den Kittel, legte ihn über den Arm und wartete ab. Dann ging er in Richtung Rezeption.
Auf dem Rückweg nickte er demselben Krankenpfleger zu und fühlte nach, ob die Spritzen und Kanülen auch in seiner Jackentasche waren. Natürlich waren sie da.
Er setzte sich auf ein blaues Sofa im vorderen, kleineren Aufenthaltsraum, ohne dass der Polizist im hinteren, größeren Raum auch nur den Kopf hob. Genau fünf Minuten späterstand der Beamte auf und ging zur Empfangstheke. Zwei Ärzte und ein paar Pfleger hatten gerade das Krankenzimmer verlassen, in dem die Schwester des Polizisten lag. Mittlerweile waren beim Personal neue Gesichter aufgetaucht und verteilten sich auf ihre jeweiligen Posten.
Der Schichtwechsel war in vollem Gang.
Der Polizeibeamte nickte der Sekretärin zu und sie nickte zurück. Ja, Isabel Jønssons Bruder durfte jetzt gern hineingehen.
Er blickte dem Mann nach und sah, wie er im Krankenzimmer verschwand. Bald würde ein Krankenträger kommen. Nicht unbedingt der beste Ausgangspunkt für sein Vorhaben.
Wenn Isabels Zustand tatsächlich so stabil war, dass sie verlegt werden konnte, musste er sie vorher unschädlich machen. Später hatte er vielleicht keine Gelegenheit mehr dazu.
Alles drehte sich nun darum, Zeit zu gewinnen. Deshalb musste er den Bruder schnellstmöglich rausschmeißen, auch wenn das ein Risiko war und ihn der Gedanke, sich dem Mann zu nähern, schreckte. Vielleicht hatte Isabel ihm tatsächlich etwas erzählt. Er musste also zumindest sein Gesicht verdecken, wenn er in die Nähe des Mannes kam.
Er wartete, bis die Sekretärin anfing, ihre persönlichen Sachen zusammenzupacken, und den Platz einer anderen überließ.
Dann zog er den Kittel an.
Er war so weit.
Als er den Raum betrat, konnte er die Frauen nicht sofort identifizieren. Isabel musste die am Fenster sein, an deren Bett der Polizist saß. Der hielt die Hand seiner Schwester und redete mit ihr.
Dann war Rachel also die Frau im vorderen Bett, die mit dem Gespinst aus Schläuchen, die zu irgendwelchen Masken, Sonden und Tropfgestellen führten.
Hinter ihr erhob sich eine Wand aus piepsenden, blinkenden Maschinen. Ihr Gesicht war fast vollständig verdeckt, ebenso ihr Körper. Unter der Decke ahnte man schwerste Verletzungen und irreparable Schäden.
Er sah hinüber zu Isabel und ihrem Bruder. »Was ist passiert, Isabel?«, fragte der Bruder gerade.
Da zog er sich zwischen die Wand und Rachels Bett zurück und beugte sich vor.
»Tut mir leid, aber Sie können nicht im Zimmer bleiben, Herr Jønsson«, sagte er, lehnte sich über Rachel und zog ihr Augenlid hoch, als untersuchte er ihre Pupillen. Das sah nach tiefer Bewusstlosigkeit aus.
»Isabel wird jetzt verlegt«, fuhr er
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