Erlösung
getan hatte, aber nicht, wer er war. Das wusste nur er selbst, und so sollte es auch bleiben. Aber sie würden es in den Medien breittreten. Sie würden potenzielle künftige Opfer warnen, und deshalb musste er seine Aktivitäten eine Zeit lang einstellen. Genügsamvom Ersparten leben und sich eine neue Ausgangsbasis suchen.
Er sah sich in seinem schönen Haus um. Seine Frau hatte zwar alles gut gepflegt und in Ordnung gehalten, und für Instandhaltungen hatten sie auch reichlich ausgegeben, trotzdem war der Zeitpunkt für einen Verkauf ungünstig. Die gegenwärtige Krise verdarb die Preise. Aber verkauft werden musste es. Das hatte ihn die Erfahrung gelehrt. Wenn man verschwinden musste, reichte es nicht, nur ein paar Brücken hinter sich abzubrechen. Neues Auto, neue Bank, neuer Name, neue Adresse, neuer Bekanntenkreis. Alles musste sich ändern. Das ging auch, Hauptsache man konnte seiner Umgebung eine plausible Erklärung für seinen Abgang auftischen. Ein neuer Job im Ausland, ein verlockendes Gehalt, angenehmes Klima, das verstanden alle. Da wunderte sich keiner.
Kurz gesagt – keine überstürzten und irrationalen Handlungen.
Er stellte sich in die offene Tür vor den Stapel Umzugskartons und rief den Namen seiner Frau. Als er einige Minuten dort gestanden hatte, ohne ein Lebenszeichen zu vernehmen, drehte er sich um und ging.
Na, zum Glück musste er da nicht noch selbst Hand anlegen. Wer tötete schon gern ein lieb gewonnenes Haustier?
Egal, das war nun passé. Sei’s drum.
Heute Abend, nach dem Bowlingturnier, würde er die Leiche in den Wagen laden und zum Vibehof bringen. Er musste da jetzt durch. Die Kinder und seine Frau mussten weg.
In ein paar Wochen würden die Leichen aufgelöst und der Öltank gereinigt sein.
Seine Schwiegermutter sollte einen tränenfeuchten Abschiedsbrief ihrer Tochter bekommen. Aus dem würde hervorgehen, dass das schlechte Verhältnis zwischen Mutter und Tochter entscheidend zu dem Entschluss beigetragen habe, insAusland zu ziehen. Wenn die Wunden geheilt waren, würde sie wieder von ihnen hören.
Und wenn seine Schwiegermutter irgendwann anfing, nachzubohren, eventuell sogar misstrauisch zu werden, würde er ihr einen Besuch abstatten und sie zwingen, ihren eigenen Abschiedsbrief zu schreiben. Wäre nicht das erste Mal, dass er jemandem Schlafmittel aufnötigte.
Aber als Erstes musste er die Umzugskartons vernichten, das Auto reparieren lassen und verkaufen und das Haus loswerden. Übers Internet sollte es möglich sein, eine komfortable Hütte irgendwo auf den Philippinen zu finden. Dann würde er Benjamin holen. Seiner Schwester müsste er wohl weiterhin finanzielle Unterstützung zusichern. Schließlich würde er mit irgendeiner alten Schrottlaube bis nach Bulgarien fahren und sie dort einfach am Straßenrand abstellen.
Die Flugtickets, ausgestellt auf die neuen falschen Namen, würden nicht den geringsten Rückschluss auf seine alte Identität erlauben. Nein, ein kleiner Junge mit seinem Vater auf der Reise von Sofia nach Manila würde niemandem auffallen. Nur die andere Richtung wäre problematisch.
Vierzehn Flugstunden. Dort lag die Zukunft.
Er ging in den Flur und nahm seine Ebonite-Bowlingtasche aus dem Schrank. Die Ausrüstung, die da drin lag, war auf Sieg und Triumph ausgerichtet. Und an Siegen hatte es in den letzten Jahren wahrlich nicht gefehlt. Wenn er auf den Philippinen etwas von seinem gegenwärtigen Leben vermissen würde, dann das.
Dabei gab es unter seinen Mannschaftskameraden keinen, aus dem er sich etwas machte. Alles schlichte Gemüter, durch die Bank weg. Zwei von ihnen waren sogar echte Idioten, die er gern durch andere ersetzt gesehen hätte. Gewöhnliche Namen, gewöhnliches Aussehen, totaler Durchschnitt. Nur eben, dass sie als Mannschaft in der Bowling-Kreisliga ziemlich weitnach vorn gekommen waren. Das Geräusch, wenn die zehn Pins in die Maschine knallten, war der Klang des Erfolgs. So empfanden es alle sechs.
Das war der entscheidende Dreh.
Die Mannschaft ging auf die Bahn, um sie zu erobern. Deshalb war er jedes Mal dabei, wenn es darauf ankam. Deshalb. Und dann natürlich wegen Papst, seinem ganz speziellen Freund.
»Hallo«, grüßte er an der Bar. »Sitzt ihr hier?« Als käme ein anderer Platz in Frage.
Alle reckten sie eine Hand in die Luft und er machte die Give-me-five-Runde.
»Was trinkt ihr?«, fragte er. Das war das Eingangsgebet für jeden Neuankömmling.
Wie die anderen hielt er sich so kurz vor
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