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Erlösung

Erlösung

Titel: Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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einem Turnier an Mineralwasser. Die Gegner taten das nicht, und das war ihr Fehler.
    Sie saßen ein paar Minuten zusammen und sprachen über die Stärken und Unwägbarkeiten der gegnerischen Mannschaft. Als es schließlich darum ging, wie sicher sie waren, die Kreismeisterschaft an Christi Himmelfahrt zu gewinnen, sagte er es.
    »Tja, allerdings werdet ihr euch bis dahin einen neuen Mann für mich suchen müssen.« Er hob entschuldigend beide Hände. »Tut mir leid, Jungs.«
    Die anklagenden Blicke, die sie ihm zuwarfen, schimpften ihn einen Verräter. Eine ganze Weile sagte keiner ein Wort. Svend kaute noch heftiger auf seinem Kaugummi als sonst. Er und Birger sahen richtig wütend aus. Verständlich, dass sie wütend waren.
    Lars brach das Schweigen. »Das klingt nicht gut, René. Was ist passiert? Ist was mit deiner Frau? Das ist es doch meistens.«
    Zustimmung von allen Seiten zu dieser Aussage.
    »Nein.« Er erlaubte sich ein kurzes Lächeln. »Nein, an ihr liegt’s wirklich nicht. Nein, man hat mich zum stellvertretenden Geschäftsführer befördert, und zwar in Tripolis, Libyen. In einem völlig neuen Typ Solarenergie-Unternehmen. Aber keine Bange, in fünf Jahren bin ich wieder da, länger geht der Vertrag nicht. Und dann werdet ihr mich doch wohl in der Altherrenriege brauchen können?«
    Keiner lachte. Das hatte er auch nicht erwartet. Er hatte ein Sakrileg begangen. Etwas Schlimmeres konnte man einer Mannschaft direkt vor einem Turnier nicht antun. Denn alles, was im Hinterkopf rumorte, schadete dem Drive der Kugel.
    Er entschuldigte sich für das unpassende Timing, wusste aber für sich, dass es gar nicht besser hätte laufen können.
    Sie hatten ihn schon aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Wie gewünscht.
    Doch, ja, er wusste genau, wie es ihnen jetzt ging. Bowling war ihre Flucht aus dem Alltag. Auf keinen von denen wartete ein Geschäftsführerposten im Ausland. Nachdem er nun den Abstand zwischen ihnen markiert hatte, fühlten sie sich alle wie die Maus in der Falle. So war es ihm selbst oft genug gegangen. Aber das war lange her.
    Inzwischen war er die Katze.

44
    Dreimal hatte sie gesehen, wie sich das Morgenlicht seinen Weg zwischen den Umzugskartons hindurch ins Zimmer bahnte. Noch einmal würde sie das nicht erleben, das war ihr klar.
    Immer wieder hatte sie angefangen zu weinen, aber das konnte sie jetzt nicht mehr. Nicht einmal dafür reichten ihre Kräfte noch.
    Wenn sie versuchte, den Mund zu öffnen, wollten ihre Lippen sich nicht teilen, und die Zunge klebte am Gaumen. Wie lange war es her, dass sie genug Spucke hatte, um zu schlucken?
    Der Gedanke an den Tod wirkte jetzt befreiend. Auf ewig schlafen. Nie mehr diese Schmerzen. Nie mehr diese Einsamkeit.
    »Lass ihn, der vor dem Tod steht. Ihn, der weiß, dass es jeden Augenblick so weit ist. Lass ihn, der den Augenblick auf sich zustürmen sieht, in dem alles verschwindet, lass ihn sich über das Leben äußern«, hatte ihr Mann einmal höhnisch seinen Vater zitiert.
    Ihr Mann! Er, der nie selbst gelebt hatte, wie hatte er es wagen können, diese Worte anzuzweifeln? Vielleicht würde sie selbst jeden Augenblick sterben – so fühlte es sich jedenfalls an   –, aber sie hatte immerhin gelebt. Ja, das hatte sie.
    Oder nicht?
    Sie versuchte, sich an das Wie zu erinnern, aber alle Erinnerungen verschwammen ineinander. Aus Jahren wurden Wochen, Bruchstückhaftes tauchte auf, sprang in Zeit und Ort und verband sich zu unmöglichen Konstellationen.
    Erst stirbt mein Kopf, dachte sie. Das weiß ich nun.
    Sie spürte den eigenen Atem nicht mehr. Sie atmete so flach, dass sie den Luftstrom nicht einmal mehr in den Nasenlöchern wahrnahm. Einzig und allein die Finger der freien Hand zitterten noch. Diese Finger, die an den vorherigen Tagen ein Loch in den Karton über ihr gekratzt und etwas Metallisches gefühlt hatten. Der Gedanke daran, was das sein könnte, beschäftigte sie. Ob sie es wohl noch herausfand?
    Wieder zitterten die Finger. Als wären diese Bewegungen von Saiten gesteuert, die direkt mit Gott verbunden waren. Sie zitterten und schlugen so leicht wie Schmetterlingsflügel aneinander.
    Möchtest du etwas von mir, Gott?, fragte sie. Sind das schon unsere ersten Berührungen, bevor du mich bald ganz zu dir nimmst?
    Innerlich lächelte sie. So nahe war sie Gott noch nie gewesen. Niemandem war sie je so nahe gewesen. Und sie fühlte sich weder ängstlich noch einsam. Nur müde. Der Druck der Kisten war kaum noch zu spüren. Nur noch

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