Erlösung
Öltank, einigen Schläuchen und diesem Generator, der dort stand und brummte wie ein Relikt aus einer Zeit, als die Dinge noch ewig hielten.
»Wonach riecht das hier, Carl?«
Ja, der Geruch war intensiv, und Carl kannte ihn von früher. Von damals, als man Kiefernmöbel und Holztüren noch abbeizte. Dieser beißende Geruch, bei dem sich einem die Nasenlöcher zusammenzogen. Der Geruch von Ätznatron. Der Geruch von Lauge.
Den Kopf voller unheimlicher Bilder zog er den Schemel an den Öltank heran. Mit bangen Ahnungen stieg er hinauf und hob den Deckel des Tanks ab. Ich kann das Ding ja sofort ausschalten, dachte er, als er den Lichtkegel der Stablampe ins Innere des Tanks richtete.
Aber da war nichts zu sehen. Nur Wasser und ein meterlanger Heizschlauch.
Wozu sich dieser Tank benutzen ließ, konnte man sich leicht ausrechnen.
Er schaltete die Lampe aus, stieg vorsichtig vom Schemel herunter und sah Assad an.
»Ich glaube, die Kinder sind noch im Bootshaus. Vielleicht leben sie noch.«
Bevor sie den Schuppen verließen, sahen sie sich gründlich um und blieben noch einen Moment an der Tür stehen, um die Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. In drei Monaten würde es um diese Zeit noch taghell sein. Aber im Augenblick sahen sie nichts als undeutliche Schatten, die sich vom Fjord abhoben. Sollte es dort hinter dem niedrigen Gebüsch tatsächlich ein Bootshaus geben?
Er winkte Assad, ihm zu folgen. Auf den nächsten Metern spürte er, wie dicke Nacktschnecken unter seinen Schuhsohlen zermatschten. Was für eine Sauerei! Assad konnte das sicher gar nicht leiden.
Dann kamen sie zu den Sträuchern. Carl beugte sich vor, bog einen Zweig zur Seite und dort, vor seinen Augen, war die Tür, einen halben Meter über der Erde, eingelassen in dicke Planken. Er berührte sie, sie waren glatt und feucht.
Es roch nach Teer, damit hatte man sicher die Ritzen abgedichtet.Derselbe Teer, mit dem Poul Holt seine Flaschenpost versiegelt hatte.
Sie hörten das Wasser vor ihren Füßen schwappen, das Haus lag also direkt über dem Wasser. Zweifellos stand es auf Pfählen. Das war das Bootshaus!
Carl drückte auf den Türgriff, aber die Tür ging nicht auf. Dann ertastete er einen Keil, der in einem Riegel steckte. Er hob ihn vorsichtig an und ließ ihn dann mit der daran befestigten Kette fallen. Der Kerl war ganz offensichtlich nicht dort drin.
Langsam zog er die Tür auf, und sofort hörte er leise Atemgeräusche.
Der Gestank von fauligem Wasser, von Urin und Kot schlug ihm entgegen.
»Ist hier jemand?«, flüsterte er.
Es dauerte einen Moment, dann war unterdrücktes Stöhnen zu hören.
Er knipste die Stablampe an und ein herzzerreißender Anblick bot sich seinen Augen.
Im Abstand von zwei Metern saßen da zwei zusammengesunkene Gestalten in ihrem eigenen Unrat. Nasse Hosen, schmierige Haare. Zwei Häufchen Leben, die aufgegeben hatten.
Der Junge starrte ihn aus wilden, weit aufgerissenen Augen direkt an. Unter dem Dach eingeklemmt, die Hände auf dem Rücken gefesselt und angekettet. Der Mund war mit Packband zugeklebt, das von seinen Atemzügen leicht vibrierte. Der ganze Mensch schrie um Hilfe. Carl bewegte den Lichtstrahl zu dem Mädchen, das vornübergebeugt an seiner Kette hing. Ihr Kopf ruhte auf der Schulter, als schliefe sie, aber sie schlief nicht. Die Augen waren offen und blinzelten ins Licht. Nur hatte sie offenbar nicht die Kraft, den Kopf zu heben.
»Wir helfen euch«, flüsterte Carl, zog sich auf den Fußbodenhoch und krabbelte auf allen vieren hinein. »Aber ihr müsst ganz leise sein.«
Er zog sein Handy heraus und gab eine Nummer ein. Einen Augenblick später forderte er bei der Polizeiwache von Frederikssund Unterstützung an. Dann klappte er das Handy wieder zu.
Der Junge ließ die Schultern sinken. Was er eben gehört hatte, schien ihn ein bisschen zu beruhigen.
Inzwischen war auch Assad hereingekrochen. Er kniete unter dem niedrigen Dach und zog das Klebeband vom Mund des Mädchens ab und löste ihre Riemen, während Carl dem Jungen half. Der gab keinen Mucks von sich, als das Klebeband abgerissen wurde. Beugte sich bereitwillig zur Seite, damit Carl den Lederriemen auf seinem Rücken erreichen konnte.
So bekamen sie die Kinder ein Stück von der Wand weg. Bei den Ketten jedoch, die um die Oberkörper geschlungen und an eine andere, in der Wand verankerte Kette angeschlossen waren, kamen sie nicht weiter.
»Die Ketten hat er uns gestern zusätzlich verpasst und sie dann mit einem Schloss
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