Erlösung
sie ihre Finger mit den Haaren auf seiner Brust verflochten und seinen Nacken mit ihren zarten, sinnlichen Fingern gestreichelt. Aber das tat sie alles nicht. Sie schwieg und konzentrierte sich darauf, wieder ruhig zu atmen.
Deshalb fragte er so direkt. »In der Einfahrt steht ein Herrenfahrrad. Weißt du, wem das gehört?«
Sie gab vor zu schlafen.
Aber das tat sie nicht und es war ihm auch vollkommen gleichgültig, was sie geantwortet hätte.
Die Arme hinter dem Kopf verschränkt lag er ein, zwei Stunden im Bett und sah zu, wie der Märzmorgen dämmerte, wie das schwache Licht über die Zimmerdecke glitt und den Raum nach und nach erhellte.
In seinem Kopf war Ruhe eingekehrt. Sie hatten ein Problem. Aber das würde er lösen. Ein für alle Mal.
Wenn sie aufwachte, würde er die Lügen aus ihr herausschälen – Schicht um Schicht.
Das Verhör begann erst richtig, nachdem sie Benjamin im Laufstall abgesetzt hatte. Genau wie erwartet.
Vier Jahre lang hatten sie zusammengelebt, ohne das gegenseitige Vertrauen auf die Probe zu stellen. Heute war es so weit.
»Das Fahrrad ist abgeschlossen, es ist also nicht gestohlen«, sagte er und betrachtete sie mit einem viel zu neutralen Blick. »Jemand hat es mit Absicht dort abgestellt, meinst du nicht auch?«
Sie schob die Unterlippe vor und zuckte die Achseln. Woher sollte sie das wissen, signalisierte sie damit, aber ihr Mann sah weg.
Jetzt spürte sie, wie es unter ihren Achselhöhlen verräterisch feucht wurde. Gleich würde sie Schweißperlen auf der Stirn haben.
»Wenn wir wollten, könnten wir sicher herausfinden, wem das Fahrrad gehört«, sagte er und sah sie an. Dieses Mal mit gesenktem Kopf.
»Glaubst du?« Sie bemühte sich, überrascht zu klingen, nicht überrumpelt. Dann hob sie die Hand zur Stirn und tat so, als ob sie sich kratzte. Ja, die war feucht.
Er sah sie intensiv an. Die Küche wirkte mit einem Mal so eng.
»Wie sollen wir das herausfinden?«, fuhr sie fort.
»Wir können die Nachbarn fragen, ob sie gesehen haben, wer es dort abgestellt hat.«
Sie holte tief Luft. Das würde er mit Sicherheit nicht tun, das wusste sie.
»Ja«, sagte sie. »Das wäre eine Idee. Aber glaubst du nicht, dass es irgendwann von selbst verschwindet? Wir könnten es einfach an die Straße stellen.«
Er lehnte sich etwas zurück. Entspannter. Sie hingegen war alles andere als entspannt. Jetzt fuhr sie sich noch einmal über die Stirn.
»Du schwitzt«, sagte er. »Ist was?«
Sie spitzte die Lippen und atmete langsam aus. Du wirst die Fassung bewahren, ermahnte sie sich. »Ja, ich fühle mich, als hätte ich Fieber. Vielleicht hat Benjamin mich angesteckt.«
Er nickte und neigte den Kopf zur Seite. »Wo hast du übrigens das Ladegerät gefunden?«
Sie nahm sich noch ein Brötchen und zupfte es auseinander. »Draußen auf dem Flur, im Korb mit den Mützen.« Jetzt fühlte sie sich eher auf festem Grund. Nun galt es nur, dort auch zu bleiben.
»Im Korb?«
»Ich wusste nicht, was ich damit machen sollte, nachdem ich das Handy aufgeladen hatte. Deshalb hab ich’s dorthin zurückgelegt.«
Wortlos stand er auf. Gleich, wenn er sich wieder setzte, würde er fragen, was das Ladegerät in dem Korb zu suchen hatte. Und sie würde antworten, wie sie es sich zurechtgelegt hatte, dass es doch schon ewig dort lag.
In dem Moment bemerkte sie ihren Fehler.
Das Fahrrad dort draußen in der Einfahrt ruinierte die Geschichte. Er würde die beiden Sachen miteinander in Verbindung bringen, so war er.
Sie starrte ins Wohnzimmer, wo Benjamin im Laufstallstand und an den Gitterstäben rüttelte. Wie ein Tier, das kämpft, um freizukommen.
Das hatten sie gemeinsam.
Das Ladegerät sah geradezu winzig aus in der Hand ihres Mannes. Als könnte er es mühelos zerdrücken. »Woher hast du das?«, fragte er.
»Ich hab geglaubt, das sei deins«, antwortete sie.
Darauf reagierte er nicht. Dann nahm er also sein Ladegerät mit, wenn er unterwegs war.
»Komm mal mit«, sagte er. »Ich sehe doch, dass du lügst.«
Sie versuchte empört auszusehen, was ihr nicht sonderlich schwerfiel. »Also mal ehrlich, warum sagst du so was? Wenn es nicht dir gehört, dann muss es jemand hier vergessen haben. Vielleicht bei der Taufe oder so.«
Aber sie saß in der Falle.
»Bei der Taufe? Wie kommst du denn darauf? Das ist anderthalb Jahre her!« Offenbar fand er das zum Lachen, aber er lachte nicht. »Wir hatten zehn bis zwölf Gäste. Die meisten davon alte Frauen. Keiner von ihnen hat
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