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Erlösung

Erlösung

Titel: Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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sehr hartnäckiger Mensch. Und er konnte gut zeichnen. Das auch.«
    Pouls Bruder lächelte traurig. »Sie können sich nicht vorstellen, wie viel es mir bedeutet, dass Sie hierhergekommen sind. Dass ich diesen Brief in Händen halten kann. Pouls Brief.«
    Carl blickte auf die Kopie. Tryggve Holt hatte noch ein paar Buchstaben eingetragen. Na, dafür war er mit Sicherheit der Richtige.
    Dann trank Carl einen großen Schluck Kaffee. Ohne seine relativ gute Kinderstube hätte er sich an den Hals gegriffen und gutturale Laute ausgestoßen. Verdammt, was war denn das? Pures, rabenschwarzes Koffein!
    »Wo ist Poul jetzt?«, fragte er und kniff die Lippen und die Arschbacken zusammen.
    »Wo Poul ist?« Tryggve sah Carl traurig an. »Hätten Sie mir diese Frage vor vielen Jahren gestellt, hätte ich Ihnen geantwortet, er sei zusammen mit den hundertvierundvierzigtausend anderen Auserwählten im Paradies. Nun sage ich nur, dass Poul tot ist. Das Letzte, was er tat, war, diesen Brief zu schreiben. Sein letztes Lebenszeichen.«
    Er schluckte schwer und hielt einen Moment inne.
    »Kaum zwei Minuten, nachdem er die Flasche ins Wasser geworfen hatte, wurde Poul umgebracht«, murmelte er so leise, dass es fast nicht zu hören war.
    Carl richtete sich auf. Er hätte sich wohler gefühlt, wenn er diese Nachricht vollständig angezogen erhalten hätte.
    »Sie sagen, er wurde ermordet?«
    Tryggve nickte.
    Carl runzelte die Augenbrauen. »Der Entführer hat Poul ermordet und Sie verschont?«
    Lillemor streckte die Hand aus und wischte Tryggve die Tränen von der Wange. Er nickte wieder.
    »Ja. Dieser Scheißkerl hat mich verschont, und dafür hab ich ihn seitdem hunderttausendmal verflucht.«

19
    Wenn er eine besondere Fähigkeit besaß, dann die, falsche Blicke und aufgesetzte Mienen zu erkennen.
    In dem Moment, in dem sich die Familie rund um die flachen Teller auf der Wachstuchdecke versammelte und das Vaterunser betete, wusste er schon genau, ob sein Vater die Mutter wieder geschlagen hatte. Sichtbare Anzeichen gab es keine, er schlug nie direkt ins Gesicht, dazu war er dann doch zu schlau. Er musste ja auf die Gemeinde Rücksicht nehmen. Und seine Mutter spielte mit und saß mit unergründlichem, scheinheiligem Gesicht dabei, genauestens darauf achtend, dass sich die Kinder bei Tisch benahmen und die abgezählte Anzahl Kartoffeln zu den abgezählten Stücken Fleisch aßen. Aber hinter den ruhig blinzelnden Augen lagen Angst und Hass und tiefste Ohnmacht.
    Das sah er.
    Manchmal sah er auch, wie sich dieser verloren-unschuldige Blick in die Augen seines Vaters schlich, aber das war selten. Eigentlich blieb sein Gesichtsausdruck immer gleich. Um die eiskalten, stechenden Pupillen dieses Mannes zu vergrößern, dazu gehörte weit mehr als die tägliche körperliche Züchtigung.
    Ja, so ging es ihm damals schon mit Blicken, und so ging es ihm auch jetzt.
     
    Im selben Moment, als er durch die Tür trat, entdeckte er das Fremde in den Augen seiner Frau. Natürlich lächelte sie. Aber das Lächeln war schief und ihr Blick endete im leeren Raum direkt vor seinem Gesicht.
    Wenn sie das Kind nicht so an sich gedrückt hätte, hätte er vielleicht geglaubt, sie sei müde oder habe Kopfweh, so, wie sie dort auf dem Fußboden saß. Aber sie hielt das Kind fest und schien dabei ganz weit weg zu sein.
    Das passte nicht zusammen.
    »Hallo«, begrüßte er sie und atmete dieses Konglomerat aus Gerüchen des Hauses ein. Aber im Vertrauten fiel ihm ein aromatischer Unterton auf, der ihm fremd vorkam. Eine schwache Witterung von Problemen, von überschrittenen Grenzen.
    »Spendierst du eine Tasse Tee?«, fragte er und streichelte ihre Wange. Die war heiß, als hätte sie Fieber.
    »Und wie steht’s mit dir, altes Haus?« Er nahm seinen Sohn auf den Schoß und sah ihm in die Augen. Die waren klar und fröhlich und müde. Das Lächeln kam unverzüglich.
    »Er sieht jetzt aber eigentlich gut aus«, sagte er.
    »Ja. Noch bis gestern hatte er ordentlich Schnupfen, aber heute früh war er wieder ganz okay. Du weißt ja, wie das bei Kindern ist.« Sie lächelte kurz, und auch das wirkte fremd.
    Als wäre sie in den wenigen Tagen, in denen er weg gewesen war, um Jahre gealtert.
     
    Er hielt, was er versprochen hatte. Liebte sie so heftig wie in der Woche davor. Aber es dauerte länger als sonst. Länger, bis sie sich hingeben und Körper und Kopf trennen konnte.
    Anschließend zog er sie an sich und ließ sie an seiner Brust ruhen. Normalerweise hätte

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