Erlösung
Aufmunterung anzutrinken, war er nicht durstig genug.
Und jetzt hatte sich ein Mann mit Turban ein Herz gefasstund seine Fast-Exfrau schneller erobert, als man sich einen Pornofilm ausleihen konnte.
Nicht einmal mit seinem sogenannten Partner konnte er ausgehen, denn der wohnte nicht an der angegebenen Adresse.
Er atmete langsam den Sauerstoff aus dem Moorsee ein und spürte dabei wieder, wie ihm der Schweiß ausbrach und er an den Armen Gänsehaut bekam. So eine Scheiße! Musste er das jetzt ein zweites Mal durchexerzieren? Zum zweiten Mal in nicht mal vierundzwanzig Stunden.
War er krank?
Er zog sein Handy aus der Tasche und starrte lange auf die Nummer, die er aufgerufen hatte. Da stand bloß Mona Ibsen. Wie gefährlich konnte das werden?
Als er zwanzig Minuten so dagesessen und gespürt hatte, wie das Herzklopfen zunahm, drückte er auf die Taste mit dem grünen Hörer und betete, für eine Krisenbehandlerin möge ein Sonntagabend kein Tabu sein.
»Hallo, Mona«, sagte er leise, als sie sich gemeldet hatte. »Hier ist Carl Mørck. Ich …« Hier hatte er sagen wollen, dass es ihm schlecht ging. Dass er ein Gespräch bräuchte. Aber so weit kam er gar nicht.
»Carl Mørck!«, unterbrach sie ihn. Das klang jetzt erst mal nicht sonderlich kontaktsuchend. »Also hör mal, ich hab auf deinen Anruf gewartet, seit ich wieder zurück bin. Das wird jetzt aber wirklich Zeit.«
Auf ihrem Sofa zu sitzen, in einem Wohnzimmer, das so sehr nach Frau duftete, das war wie damals, als er bei einem Schulausflug hinter ein paar Holzbaracken stand und die Hand eines langgliedrigen Mädchens tief in seiner Hose steckte. Verwirrend, grenzüberschreitend und prickelnd.
Und Mona war nicht irgendeine sommersprossige Bäckerstochter vom Land, das bewiesen seine körperlichen Reaktionen eindeutig. Jedes Mal, wenn er ihre Schritte dort draußenin der Küche hörte, fühlte er dieses gefährliche Klopfen in der Brusttaschenregion. Fehlte nur noch, dass er jetzt hier umkippte.
Sie hatten Höflichkeiten ausgetauscht und ein bisschen über seinen letzten Anfall geredet. Hatten einen Campari Soda getrunken und danach, nun etwas lockerer, noch zwei. Sie hatten über ihre Afrikareise gesprochen und waren kurz davor gewesen, sich zu küssen.
Vielleicht hing das Panikgefühl mit dem Gedanken an das zusammen, was nun eigentlich kommen müsste.
Mona kam mit irgendwelchen kleinen Dreiecken zurück, die sie Abendbrot nannte, aber wer konnte ans Essen denken, wenn sie hier allein waren und ihre Hemdbluse so verdammt stramm saß?
Nun komm schon, Carl, dachte er. Wenn ein Mann, der Gurkenmeier heißt und seinen Bart zu Zöpfen flicht, das kann, dann kannst du es auch.
22
Er hatte seine Frau in ein Gefängnis aus wuchtigen Kartons eingesperrt. Dort würde sie bis zum Ende bleiben müssen. Sie wusste zu viel.
Gut zwei Stunden lang hatte er aus dem kleinen Zimmer ein Schaben und Kratzen gehört und, als er mit Benjamin nach Hause kam, auch halb ersticktes Stöhnen.
Erst jetzt, als er alle Sachen des Jungen ins Auto geladen hatte, war es vollkommen still im Haus.
Er lächelte seinem Sohn im Rückspiegel zu und legte eine CD mit Kinderliedern ein. Nach einer Stunde Fahrt würde er schlafen. So eine Fahrt über Seeland wirkte immer.
Seine Schwester hatte schlaftrunken gewirkt, als er sie anrief. Aber als er erzählte, wie sehr er es schätzen würde, wenn sie sich um Benjamin kümmern könnten, war sie auf einmal hellwach gewesen.
»Ja, du hast richtig gehört«, sagte er. »Du bekommst dreitausend Kronen die Woche. Und ich komme zwischendurch vorbei und sehe nach, ob ihr es ordentlich macht.«
»Du musst immer einen Monat im Voraus bezahlen«, sagte sie.«
»In Ordnung, mache ich.«
»Und du musst uns das, was wir sonst von dir bekommen, auch weiterhin geben.«
Er nickte vor sich hin. Mit dieser Forderung hatte er gerechnet. »Ich werde nichts ändern, entspann dich.«
»Wie lange ist deine Frau in der Klinik?«
»Ich weiß es nicht. Wir müssen sehen, wie es weitergeht. Sie ist sehr krank. Das kann eine Weile dauern.«
Schweigen. Kein Wort des Mitgefühls oder des Bedauerns von Evas Seite. So war seine Schwester nicht.
»Du sollst zu deinem Vater kommen!«, befahl ihm seine Mutter in scharfem Ton. Ihre Haare waren unordentlich und ihr Kleid wirkte wie verkehrt herum angezogen. Also hatte sein Vater sie sich wieder mal vorgeknöpft.
»Warum?«, hatte er gefragt. »Ich muss bis zur Gebetsversammlung morgen die
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