Erlösung
Aufmerksamkeit abrupt in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Lesley umarmte mich fester und ich erwiderte ihre Liebkosung. Nach ein paar Augenblicken bekamen wir dann plötzlich einen weißen Spazierstock zu Gesicht, der von einer klobigen Männerhand geführt wurde und klackernd um die Ecke bog.
„Pünktlich wie eh und je“, begrüßte ich meinen Freund herzlich. Ich drückte seine freie Hand und Gerard erwiderte die Geste mit einem ebenso festen Händedruck.
„Nicholas, mein Lieber, wie lang ist es jetzt her?“ Er sah zur Seite und ich wusste, dass sich mein Engel vermutlich fragte, ob er sie bemerkte, auch wenn sie sich nicht mehr bewegt hatte, seitdem er vor uns stand.
„Es ist wie immer zu viel Zeit verstrichen“, antwortete ich belustigt.
„Ja, und wie es scheint, bist du nicht allein, was in Anbetracht deiner Bitte wohl auch abzusehen war. Möchtest du mich der jungen Dame, die mich ohnehin schon so unentwegt anstarrt, nicht vorstellen?“ Ich unterdrückte ein leises Lachen.
„Wie können Sie das wissen?“, platzte es jetzt aus Liz heraus. „Sie sind doch-“
„Blind“, beendete er ihre Schlussfolgerung. „Das ist wahr, Mademoiselle, aber ich habe noch vier andere Sinne, die ich perfekter einsetzen kann als jeder Sterbliche.“
„Oh, es tut mir leid.“
Ich drückte sanft ihre Hand. „Du musst dich nicht entschuldigen, Gerard liebt solche Momente.“
„Das stimmt, ich zehre regelrecht davon“, er grinste, was seinem leicht wettergegerbten Gesicht eine gehörige Portion Fröhlichkeit verlieh. „Ich weiß, dass es für Sie schwierig sein mag, zu glauben, dass ein älterer Mann wie ich und dazu noch blind, ein Jäger der Nacht sein soll.“
„Um ehrlich zu sein, ja“, gestand Lesley leise.
„Vollkommen normal, wenn Sie bisher nur so perfekte Geschöpfe wie ihn hier kennen gelernt haben.“ Er deutete mit seinem Stock genau auf mich. „Die meisten unserer Art sollten auch vermutlich genau so aussehen wie unser Nicholas hier.“ Er stutzte einen kurzen Moment. „Oder so wie Sie.“ Sein Grinsen wurde breiter. „Ich passe tatsächlich nicht so ganz in den Standard, aber ein äußerst amüsantes und unbeschreibliches Schäferstündchen mit der falschen Frau hat dennoch dazu geführt, dass ich dieser Spezies angehöre.“
„Wie…?“
„Sagen wir es mal so: Der Zorn ihres ebenso untoten Ehemannes hat sich komplett auf mich entladen und ich hatte rückwirkend betrachtet dazu auch noch unverschämtes Glück. Es hätte mich mehr als das Leben kosten können. Was soll ich sonst noch sagen? Ich würde es jederzeit wieder riskieren, denn es war die ganze Sache trotzdem oder gerade deswegen wert.“ Ich hätte gelacht, wenn Liz nicht immer noch so verwirrt ausgehen hätte.
„Entschuldigen Sie, dass ich so forsch bin, aber wie können Sie wissen, wie ich aussehe? Habe ich irgendetwas nicht mitgekriegt?“ Sie sah uns beide abwechselnd an. Gerard griff abrupt nach ihrer Hand, und da seine Reflexe fast so schnell waren wie meine, hatte Lesley noch nicht einmal die Chance zurückzuweichen.
„Ihr Aussehen ist mehr als offensichtlich für mich. Ich kann mir Ihr Haar vorstellen, weil ich höre, wie es sanft durch den auffrischenden Wind zerzaust wird. Und allein schon Ihr Duft ist sehr berauschend. Schönheit liegt natürlich immer im Auge des Betrachters, doch wie gesagt, so jemand wie ich passt eigentlich nicht ins Bild eines Vampirs. Sie dagegen bringen viele gute Eigenschaften mit, aber verzeihen Sie, dass ich so direkt bin.“ Er lächelte entschuldigend. „Ich neige häufig dazu zu sagen, was mir so durch den Kopf geht. Zu meiner Verteidigung sei jedoch noch erwähnt, dass dieser Herr hier“, er zeigte wieder mit dem Stock auf mich, „in all´ den Jahren, in denen wir uns kennen, nicht ein einziges Mal jemanden mitgebracht hat, in dem das Leben noch so pulsiert wie in Ihnen.“
„Sie sagen mir hier Dinge, die für jeden normalen Menschen kaum begreiflich wären. Woher wissen Sie, dass sie mir überhaupt trauen können?“ Mich überraschte die Frage wohl ebenso wie Gerard.
„Weil ich Nicholas voll und ganz vertraue, ich darf also davon ausgehen, dass Sie nicht nur eingeweiht sind, sondern auch eine sehr wichtige Rolle in seinem Leben spielen, nicht wahr? Für mich scheint es, als hätte mein werter Freund sein Gegenstück gefunden.“ Sein offenes und herzliches Lachen steckte auch Liz ein wenig an. Sie entspannte sich augenblicklich neben mir.
„Das war ein
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