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Erloschen

Erloschen

Titel: Erloschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Kava
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in den letzten Monaten so zu hassen gelernt hatte.
    »Vorsichtig«, sagte er besorgt. »Wir bluten alle.«
    Er griff mit einer Hand in ihren Nacken und zeigte ihr die mit ihrem Blut verschmierten Finger.
    »Ganz ruhig. Bist du okay?«
    Ihre Knie wackelten ein bisschen, und das Drehen in ihrem Kopf ließ ihre Sicht verschwimmen.
    »Ich bin vielleicht nicht okay«, gestand sie.
    »Ja, das glaube ich auch.«
    Wieder sah sie seinen Arm an ihrer Schulter, ehe sie etwas spürte.
    »Wir brauchen hier einen Sanitäter!« Sie hörte Tullys Stimme wie durch einen Windkanal.
    Die Erinnerung blitzte einem altmodischen Film gleich vor ihr auf, stockte und sprang von einer Szene zur nächsten. Der Gewehrlauf an ihrem Kopf. Ein greller Lichtschein, gefolgt von einem Brüllen. Der Schmerz war höllisch, ein brennender Druck. Dann war es, als würde ihr die Kopfseite weggerissen.
    Tully hielt sie fest. Sie blickte sich in dem Chaos um und entdeckte Racine mit einer Gruppe Uniformierter. Sie drängte die Schaulustigen zurück, stand mit gespreiz ten Beinen da, schwenkte die Arme wie ein Verkehrspolizist und schaffte Platz für die Sanitäter. Von Maggies und Tullys Warte aus war zu erkennen, dass Racines Bomberjacke hinten zerfetzt war. Maggies erster Gedanke war, dass Racine stinksauer sein würde, denn sie liebte diese Jacke.
    Sie wollte einen Schritt nach vorn gehen, wurde jedoch von Tully zurückgehalten.
    »Bleib hier, ja? Ein Sanitäter soll sich dich erst mal ansehen.« Seine ruhige, sanfte Stimme passte nicht zu dem festen Griff. »Um die anderen sollen sich die Sanitäter kümmern.«
    Das »Wir stehen nur im Weg« verbiss er sich gerade noch.
    Maggie nickte. Ihr leuchtete ein, was er meinte. Sie waren nicht für die Erstversorgung von Verletzten ausgebildet. Damit musste sie sich abfinden, was ihr neuerdings nicht mehr so leichtfiel wie früher. Sie hasste es, sich nutzlos zu fühlen. Aber Tatsache war nun mal, dass ihre Ausbildung und ihre Fähigkeiten den Lebenden nicht weiterhelfen konnten. Tully und sie wurden erst gebraucht, wenn die Opfer tot waren und ihre Geschichte nicht mehr selbst erzählen konnten.
    Und in noch einem Punkt hatte Tully recht: Sie brauchte einen Sanitäter. Solange man ihr nicht offiziell bestätigte, dass sie wieder dienstbereit war, würden diese verfluchten besorgten Blicke nicht aufhören. Also blieb sie, wo sie war.
    Chaos umgab sie, und auf beiden Seiten der Straße herrschte ein Inferno. Rettungskräfte liefen brüllend hin und her, noch mehr Löschschläuche rollten quietschend ab. Und mittendrin, keine fünfzig Fuß entfernt, standen Cole und die Kamerafrau, die seltsam gelassen wirkten.
    »Hier ist Jeffery Cole«, hörte Maggie ihn sagen, »live.« Er sah verblüffend unaufgeregt aus.

11
    Virginia
    Patrick Murphy hatte den Überblick verloren, seit wie vielen Stunden er diesmal nicht mehr geschlafen hatte. Immerhin hatte ihn das College bestens darauf vorbereitet, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen. Seine Brandschutzkurse hatten allerdings nur oberflächlich angerissen, was er in den letzten paar Wochen sehen und tun müsste.
    Das galt auch für seine körperliche Verfassung. Patrick hatte geglaubt, durch tägliches Gewichtestemmen und einen Zwei-Meilen-Lauf gut trainiert zu sein; dennoch marterten ihn nach jedem Einsatz Muskeln an Stellen, an denen er einen Muskelkater für ausgeschlossen gehalten hatte.
    Trotz aller Schmerzen und Torturen würde er weit lieber auf den Feuerwehrwagen zurückklettern und sich zum nächsten Auftrag aufmachen, statt hier in der luxuriösen Lobby der Unternehmenszentrale auf einen Anpfiff von seinem Boss zu warten. Er hatte ihn noch nie zuvor getroffen.
    Patrick fuhr mit einem Finger unter seinem Kragen entlang, der ihn zu erwürgen drohte. In fünfundsiebzig Pfund Ausrüstung fühlte er sich deutlich wohler als in Schlips und Kragen.
    Er sah auf seine Uhr. Wahrscheinlich hatte sie mehr gekostet als die Studiengebühren eines Semesters. Sie war ein Bonus bei der Vertragsunterzeichnung gewesen. Ob sie die jetzt zurückwollten? Wieso dauerte das so lange? Nein, dem Schweizer Präzisionsuhrwerk nach wa ren erst elf Minuten vergangen.
    Kommt mir wie fünfundvierzig vor.
    Wenigstens war Maggie noch nicht zu Hause gewe sen, als er wegfuhr. Er hätte ihr nur ungern erklärt, wohin er wollte. Nicht dass er dazu verpflichtet war. Ihr Arrange ment hatte eher etwas von einer Wohngemeinschaft als einer Familie. Noch kannten sie sich gar nicht richtig, wussten

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