Erloschen
sollten die blöde Kamera ausstellen. Nur dass sich Racine einer krasseren Ausdrucksweise und eindeuti ger Gesten bedienen würde, sodass bei der Ausstrahlung jede Menge überpiept werden musste. Trotzdem würden es Racines Kommentare wahrscheinlich unter die Top-Kabelnachrichten schaffen.
Maggie sah, dass Tully seine Hand aus der Manteltasche zog, doch er streckte bloß die Finger aus und verzichtete glücklicherweise darauf, die Kamera wegzuschieben oder die Linse abzudecken. Beides käme nicht gut an.
»Eigentlich wollten wir Sie um Hilfe bitten«, sagte Maggie sehr ruhig zu Jeffery Cole, nicht in die Kamera. »Sie und Ihr Sender wollen uns doch gewiss bei dieser Ermittlung unterstützen.«
Das reichte, um den Fragen ein Ende zu setzen. Tatsäch lich war Cole sprachlos. Gleichzeitig bemerkte Maggie, dass die Kamerafrau ihn mit ins Bild genommen hatte. Nun sah ihn die junge Frau fragend an, und die Kamera wippte ein klein wenig.
»Verzeihung, Detective, aber ich hoffe, dass ich Sie nicht falsch verstanden habe. Sie bitten uns doch wohl nicht, die Aufnahmen zu stoppen, oder?«
Er machte mehrere Schritte auf sie zu, und die Kamerafrau tat es ihm gleich. Maggie rührte sich nicht vom Fleck. Sie strengte sich an, nicht zu blinzeln, doch das Kameralicht blendete sie.
»Nein, darum bitte ich Sie nicht.«
»Schön, denn das wäre eine Beschneidung unserer verfassungsmäßigen Rechte. Es gibt nämlich so was wie Pressefreiheit, Detective. Wir dürfen das hier filmen und unsere Zuschauer informieren. Die möchten sicher wissen, ob Sie schon einen Verdächtigen haben. Oder müssen die Leute mit weiteren Bränden rechnen? Müssen sie Angst haben, dass das nächste Feuer morgen Nacht in ihrem Viertel gelegt wird? Sehen Sie sich um.« Er bedeutete der Kamerafrau, einen Schwenk über die Straße zu fahren. »Es könnte überall in der Stadt passieren.«
»Was für ein Arschgesicht«, murmelte Racine hinter Maggie und marschierte davon.
In diesem Moment hörte Maggie einen lauten Donner hinter sich. Kurz darauf krachte es abermals, und es folgte eine Druckwelle, die sie zu Boden schleuderte.
10
Maggie spürte, wie die Hitze sie nach unten drückte, und hob ihr Gesicht nicht aus dem feuchten Gras. Glassplitter hagelten wie tausend Nadeln auf ihren Rücken. Als sie es wagte, einen Blick über ihre Schulter zu werfen, sah sie Trümmer wie Federn durch die Luft fliegen und eine Funkenspur hinter sich herziehen. Glitzernder Nebel erhellte die Nacht – nur war das kein Regen.
Schaulustige rannten, einige schrien, andere waren wie Maggie zu Boden gegangen. Manche von ihnen be wegten sich nicht. Flammen schossen aus dem klaf fenden Loch im Gebäude gegenüber. Auch aus den geborstenen Fenstern züngelte Feuer, breitete sich an den Markisen entlang aus und erreichte die Ecken des Gebäudes.
Das Stöhnen und die Dunkelheit katapultierten Mag gie an einen anderen Ort, mitten hinein in eine noch frische Erinnerung. Sie war in einem Wald, wo Donner und Blitze das Feuer ersetzten. Verletzte Teenager, zwei Tote. Ein Junge war in Stacheldraht eingewickelt, blutig und verängstigt.
Sie schüttelte den Kopf, stützte sich auf die Ellbogen und stemmte sich vom nassen Gras hoch. Dann rieb sie sich die geschlossenen Augen. Sofort wanderten ihre Finger zur Narbe an der linken Schläfe.
Sirenen heulten. Maggie sah nicht einmal, wie der dritte Löschzug eintraf. Schwarze Stiefel donnerten über den Asphalt, Schläuche wurden ratternd abgewickelt. Maggie blieb auf allen vieren und wartete, dass sich in ihrem Kopf nicht mehr alles drehte. Zu ihrem Verdruss stellte der Schwindel wohl nur eine verschärfte Form ihrer neuen Normalität dar.
»Alles okay?«
Maggie nickte, sah aber nicht zu Racine auf. Hatte sie das nicht erst vor wenigen Minuten gefragt? Sie ver suchte aufzustehen, doch der verfluchte Schwindel ließ sie auf die Knie zurücksinken.
»Bleib eine Weile unten.« Eine andere Stimme.
Sie sah die Hand auf ihrer Schulter, bevor sie sie fühlte. Als Maggie zu Tully aufsah, blickte er ihr in die Augen, wartete einen Moment und schaute sich um. Dann sah er erneut zu ihr und wieder auf die Szenerie um sie herum. Er drehte sich weit genug, dass Maggie seinen blutigen Hinterkopf sah. Sein Haar war verklebt, und Blut lief ihm in den Nacken.
»Du blutest.« Maggie streckte die Hand aus und versuchte noch einmal, sich aufzurichten.
Sie wehrte Tully nicht ab, als er ihren Ellbogen stützte. Dabei war es genau die Art Verhalten, die sie
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