Erloschen
Anders als Racine wollte sie eben nicht, dass die Kollegen sie als Frau wahrnahmen.
Nun sah sie sich um, gab vor, den Tatort einzuschätzen, und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie nach einem Fluchtweg Ausschau hielt. Sie vermied es, das Feuer anzusehen, denn es konnte einem die Augen genauso verbrennen wie ein Blick in die Sonne. Als sie Tully entdeckte, musste sie sich ein erleichtertes Seufzen verkneifen.
Der große, schlaksige R. J. Tully war einer der wenigen Männer, die in einem Trenchcoat gut aussahen. Mit seiner strengen Miene und seinem durchdringenden Blick, den er immer fest auf etwas oder jemanden gerichtet hatte, wirkte er eher wie ein Spion aus einem James-Bond-Film als ein FBI -Agent. Er starrte etwas auf der anderen Straßenseite an.
Maggie ging zu ihm und hörte, dass Racine ihr folgte.
»Was ist da?«, fragte sie ihn, sowie er sie bemerkt hatte.
Er nickte verhalten zur Straße. Die Hände ließ er bewusst in den Manteltaschen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Maggie begriff gleich, was er meinte.
Fernsehteams fuhren vor und suchten nach Parkplätzen. Einige Leute schleppten Kameraausrüstungen herbei. Mehr als ein Dutzend Leute wollten so nahe wie möglich an den Tatort. Eine Kamerafrau und ein Reporter, die direkt an der Absperrung standen, filmten bereits. Und da sich die Schaulustigen hinter ihnen drängten, mussten sie schon eingetroffen sein und aufgebaut haben, bevor die anderen Leute von dem Feuer angelockt worden waren.
»Wie lange sind die schon hier?«, fragte Maggie.
»Sie waren bereits hier, als ich kam«, antwortete Tully, und er und Maggie sahen Racine an.
»Jetzt, wo ihr es sagt – sie waren auch vor mir hier.«
8
Samantha Ramirez hielt die Kamera mit einer Hand in Position und stopfte mit der anderen eine Locke ihres krausen Haars unter die Baseball-Kappe zurück. Ihren Mantel hatte sie schon abgelegt, trotzdem lief ihr Schweiß über die Stirn, und ein Rinnsal kullerte ihr den Rücken hinab. Sie stand bereits so lange so dicht am Feuer, dass sie sich wie die böse Hexe des Westens aus dem »Zauberer von Oz« vorkam, die Stück für Stück schmolz. Sie hatten schon jede Menge Material, aber Jeffery bestand darauf, dass sie weiterfilmte.
»Man kann nie wissen, was noch passiert.«
Das sagte er immer. Und normalerweise hatte er recht. Dank seiner Beharrlichkeit hatten sie nach dem Hurrikan Katrina gefilmt, wie jemand von einem Dach gerettet wurde. Leider zogen sie manchmal auch den Zorn der Leute auf sich. So waren sie zu den Aufnahmen der Schleifspuren gekommen, die Sam hinter sich hergezogen hatte, als sie in Kairo von einer Gruppe protestierender junger Männer mitgerissen wurde. Allein das hätte ihr Warnung genug sein müssen. Aber es bescherte ihr auch zusätzliches Material von einem nicht minder zor nigen Jeffery Cole, der ihr nachjagte und kurzerhand einem Soldaten die Waffe von der Schulter riss.
Die Maschinengewehrsalve donnerte über die Köpfe der Männer hinweg, die Sam bei den Armen gepackt hielten. Bis die Schüsse fielen, hatten sie ihr bereits das T-Shirt zerfetzt, rissen an ihr und betatschten sie überall. Erst später, als Sam und Jeffery wieder sicher in den Staaten waren und das Material durchgingen, hatte sie Jefferys Gesichtsausdruck gesehen und begriffen, warum sich die Männer ohne Ausnahme auf den Boden geworfen hatten: Sein Blick sagte deutlich, dass die nächste Salve nicht in die Luft gehen würde.
»Ich gebe dir Rückendeckung und du mir«, hatte er an jenem Tag zu ihr gesagt, und seither hatte sie ihm nicht mehr widersprochen.
Ihre Mutter, die fast nur Spanisch sprach und bei Sam wohnte, um sich mit um Sams sechsjährigen Sohn zu kümmern, mochte Jeffery nicht. Sie nannte ihn »Diablo«. Nicht dass sie es ihm ins Gesicht sagte. Meistens schimpfte sie ihn einen Teufel, wenn er mitten in der Nacht anrief – wie heute. Ihre Mutter wusste zwar nichts Näheres über die Gefahrenzonen, in denen Sam und Jeffery sich bewegten, aber sie ahnte einiges, denn jeden Sonntag zündete sie in der St.-Jerome-Kirche Kerzen für sie an.
Je länger Sam mit Jeffery zusammenarbeitete, umso häufiger fragte sie sich, ob ihre Mutter vielleicht richtiglag. Manchmal fühlte es sich wirklich an, als hätte sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.
Dies war das dritte Feuer in nicht einmal zehn Tagen, trotzdem hatte ihr Chef gesagt, sie sollten sich nicht länger als nötig damit aufhalten.
»Keine Leichen, also ist der Sensationseffekt
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