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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Pirañha war ein ganzer Schwarm geworden, der durch die Nacht schwamm, über die Spree und dann am Tiergarten vorbei und immer weiter: andere Taxis, Sportwagen, Limousinen, Motorräder, Busse – jeder folgte dem Rot blinkender Rücklichter, schoss durch die Dunkelheit, peitschte sich mit zuckenden Schwänzen voran, angelockt von Farben, Musik, Nahrung.
    Â»Sind Sie noch da?«, fragte Forell beunruhigt.
    Â»Ja.« Ella dämpfte ihre Stimme. »Heute Nachmittag haben Sie angedeutet, es hätte 1929 während der Weltwirtschaftskrise einen Zusammenhang zwischen der Rettung der vor dem Ruin stehenden Bank der Lazares und dem gestohlenen Vermögen der Familie Schneider, ihrer ermordeten Nachbarn, gegeben.« Rechts von ihr trieb der goldene Engel über dem Schwarz der Bäume im Tiergarten vorbei. »Können Sie mir das genauer erklären? Wie ist das möglich gewesen?«
    Â»Christophe Lazare war gerissen«, erklärte Forell, »ein mit allen Wassern gewaschener Fuchs, und er witterte als Einziger die einmalige Chance, die in einer weltumspannenden Krise lag – die Möglichkeit, seine vor dem Untergang stehende Bank zu retten. Schließlich hatte seine Familie ihr Vermögen und ihren Ruf durch waghalsige Spekulationen in den Krisen vergangener Jahrhunderte erworben, vor allem 1719 in Frankreich bei Landgeschäften mit wertlosen Grundstücken der Mississippi Compagnie in Louisiana und – nur wenige Monate später – in
Großbritannien bei der als South Sea Bubble bekannt gewordenen Finanzwette auf das Ende des spanischen Sklavenhandelmonopols. In beiden Fällen scheffelte Christophe Lazares Großvater Georges Millionen mit Aktien, mit denen andere später noch weit mehr Millionen verloren. Allein an der Einführung des Papiergeldes in Frankreich und der Kapitalflucht von Paris nach London verdiente er ein Vermögen. So viel Glück war seinem Enkel nicht beschert. Dank seiner eigenen Risikofreude – die eher an Wahnsinn grenzte, vielleicht sogar an eine Sucht! – war ihm von diesen Reichtümern nichts mehr geblieben, nichts außer dem guten Ruf der Bank. Auf diesen Ruf hin hatte er sich immer wieder bei anderen Banken Geld geliehen, um sich in aller Stille in ein halbes Dutzend solider Firmen der Umgegend einzukaufen. Die Anteile an diesen Firmen dienten ihm dann wieder als Sicherheit für weitere Kredite. Hallo? Sind Sie noch da?!«
    Â»Ich bin noch da«, sagte Ella. »Ich höre Ihnen zu.«
    Â»Die Verbindung ist so schlecht – «
    Â»Reden Sie weiter!«
    Â»Ja, also – unter den wenigen, die Lazare widerstanden, war Auguste Schneider mit seinem kleinen Imperium aus Sägewerken, Holzmühlen und Weinbergen. Allerdings ließ auch er seine Geschäftskonten von Lazare & Fils führen, schließlich waren sie Nachbarn und teilten sich den Besitz eines Gestüts. Lazares Methode war immer dieselbe: Er trieb die Unternehmen bis an die Grenze des Ruins, um ihnen dann selbst zur Hilfe zu eilen und die Kontrolle über ihre Finanzen zu erlangen. Damit wurden sie für ihn zu einer Art Schattenbank, heute würden wir sie bad bank nennen, in deren Büchern er seine Schulden und Verbindlichkeiten parken konnte, ohne dass die Eigentümer davon erfuhren. Gleichzeitig jonglierte er mit den Geldern anderer Firmen, deren Konten seine Bank führte, wie ein Artist im Zirkus. Er kaufte und verkaufte Aktien ohne ihr Wissen, erwarb
weitere Unternehmen, deckte Löcher mit den Einlagen anderer Kunden, leitete Gewinne in seine Privatschatulle – es war, als spielte er an drei oder vier Roulettetischen gleichzeitig und zwar in mehreren Kasinos.
    Und er verlor. Er verlor immer mehr, und irgendwann konnte das ganze erschwindelte Geld seinen Absturz nicht mehr verhindern. Niemand lieh ihm auch nur noch einen Centime. Als im September 1929 eine englische Bank ihre Hand auf die versprochenen Sicherheiten in Gestalt der Aktien einer frankokanadischen Reederei legen wollte, um sich für die ausstehende Rückzahlung fälliger Kredite schadlos zu halten, waren diese Papiere an eine japanische Bank verkauft worden, der Erlös aber auf mysteriöse Weise gleichfalls verschwunden.«
    Forell unterbrach sich, aber Ella konnte ihn atmen hören. »Ich bin noch da«, sagte sie. »Was passierte weiter?« Der Tiergarten lag hinter ihr, und der Pirañhaschwarm schoss jetzt den Kurfürstendamm

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