Erlosung
hörte nur seinen hechelnden Atem. »Jetzt sind sie weg. Ich kann sie nicht mehr sehen.«
»Was geschah weiter mit Lazare?«, drängte Ella.
»Lazare, ja, natürlich«, Forell griff nach dem Namen wie nach einem Rettungsring, »er nutzte das Durcheinander jener Jahre, den Wirrwar aus verlorenen und gewonnenen Vermögen, das Chaos der nationalen und internationalen Politik und der neu definierten Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft,
um sich als feste GröÃe in der europäischen Hochfinanz zu etablieren. Dabei nutzte er die Fähigkeiten der kleinen, aber ehrgeizigen Anwaltskanzlei Rochefort aus Metz, die er 1932 erwarb und die im gleichen Ausmaà wuchs und gedieh, in dem Lazare & Fils ihren Einflussbereich erweiterten.
Mit ihrer Hilfe spann er ein immer komplizierteres Netz von Firmenverbindungen, die nur scheinbar unabhängig operierten, tatsächlich aber aus der inzwischen nach Paris verlegten Firmenzentrale von Lazare & Fils gesteuert wurden. Praktisch unkontrolliert von staatlicher Aufsicht gründete er neue Unternehmen, änderte Namen und Standorte der alten und bewegte ungeheure Vermögenswerte von gesunden börsennotierten Gesellschaften, die sich mehrheitlich in seiner Hand befanden, auf die Geheimkonten privater Lazare-Firmen oder umgekehrt. Auf diese Weise verschwanden allein zwischen den beiden Weltkriegen Millionen und Abermillionen in seinen Taschen, und es war selbst ausgefuchsten Finanzfachleuten nicht mehr möglich, die Wege zu verfolgen, die das Geld damals durch das Geflecht seiner Firmen, Tarnfirmen und Scheingläubiger nahm, denn fast alle Unterlagen sind im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden.«
Das Taxi war jetzt fast allein auf der Avus. Es raste durch den von beiden Seiten auf die Autobahn zudrängenden Wald, und die Bäume waren weià wie Knochen im Streulicht der Scheinwerfer.
»Das alles geschah hinter der Fassade der renommierten Familienbank, die bald über ein Netz von Filialen in allen europäischen Ländern verfügte und ein ganzes Heer von Anwälten auf der westlichen Erdhalbkugel beschäftigte.« Forell redete mit einer so verzweifelten Eindringlichkeit, als ginge es um sein Leben, und vielleicht tat es das sogar. »Diese Anwälte firmierten zunächst als Rochefort & Gladstone mit Sitz in Paris und London und nach dem Zweiten Weltkrieg als Rochefort, Gladstone &
Wentworth, nunmehr vertreten mit Niederlassungen in New York, London, Paris, Rom und bald auch Berlin. Später kamen Tokio, Moskau und Hongkong dazu, da hieÃen Lazare & Fils allerdings bereits Crédit Lazare, und Christophe hatte sich zugunsten seiner Söhne Charles und Paul aus dem operativen Geschäft in den Aufsichtsrat zurückgezogen. Die Zwillinge Charles und Paul nutzten die Namensänderung und noch ein paar geschickt eingefädelte Fusionen mit anderen Geldinstituten dazu, nach und nach zu verschleiern, dass eine der gröÃten europäischen Banken mit Blutgeld aus einem Raubmord gerettet worden war. Wo sind Sie jetzt? «
»Ich bin gleich da.« Die Verbindung war inzwischen schon so schlecht, dass Ella Mühe hatte, die Stimme des Professors in dem Knistern und Rauschen zu verstehen. »Was ist mit Raymond Lazare, von dem dauernd in den Fernsehnachrichten gesprochen wird?«
»Das ist der Sohn von Charles«, die Stimme war wieder klar, »und der heutige Vorstandsvorsitzende der Banque National dâAlsace, wie die Bank seit einiger Zeit ganz patriotisch heiÃt. Er hat sich als eine seiner ersten Amtshandlungen von den letzten Anteilen der Bank an Rochefort, Gladstone & Wentworth getrennt, nachdem vor zehn Jahren auch der einzige noch lebende Mitwisser der Vorgänge um die geheimnisvolle Rettung von 1929 im Alter von hunderteins Jahren gestorben war.« Ein Seufzen entfuhr Forell. »Was an der ganzen Geschichte so unglaublich anmutet, ist der Umstand, dass die düsteren Vorgänge, die Fräulein Schneider so sehr bewegt haben, mehr als achtzig Jahre zurückliegen, und selbst wenn der Krieg nicht sämtliche Spuren verwischt hätte, wären sie längst verjährt. Nur ihr unermüdliches Graben und Bohren hat sie wieder zutage gefördert. Und wenn sie damit nicht zu Raymond nach Paris gefahren wäre, um ihn mit der Schuld seiner Familie und der Tragödie der ihren zu konfrontieren, könnte sie vielleicht noch
leben, sie und die anderen. Niemand wäre tot, Raymond
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