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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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geflogen, wieder Schöneberg . Mit jedem Stück, das sie im Fahren bei laut aufgedrehtem Radio hinter sich aus dem Wagen geschleudert hatte, war ein bisschen von ihrer Wut verraucht, und als sie dann den Jeans nachgeschaut hatte, wie sie von der Brücke auf die Gleise segelten, war ihr auf einmal so leicht zumute geworden, als könnte sie selbst fliegen. Ja, es war alles geklärt.
    Zuletzt, als es sich einfach nicht mehr vermeiden ließ, dachte sie an ihre Patientin, an das Grauen in ihren Augen, das Blut in der dunklen Wohnung, die Schmerzensschreie. Auf ihrer Haut befand sich noch die ganze DNA der jungen Frau. Aber das ließ sich abwaschen. Was sie nicht abwaschen konnte, waren die Spuren in ihrer Seele, in ihrem Herzen und der Erinnerung.
    Du bist jetzt ein Teil von mir , und ich kann nichts dagegen tun, nicht das Geringste.

5
    Als sie am Nachmittag erwachte, waren Ellas Gedanken sofort wieder bei der jungen Frau . Sie dachte sogar an sie, bevor sie ganz wach war; es fing schon im Traum an. Sie träumte, dass sie an die Frau dachte und aufwachte, und es wunderte sie nicht einmal, dass sie nicht zu Hause in ihrem Bett lag. Im Schlaf hatte sie den Lärm gehört, der vor der Tür herrschte, all die Geräusche der Feuerwache, ohne sich davon stören zu lassen. Es hatte auch keinen Alarm gegeben, der sie geweckt hätte. Sie dachte an die Frau, und plötzlich fing sie an, sich gut zu fühlen. Du hast jemandem das Leben gerettet. Dann fiel ihr alles andere wieder ein, ihre Angst und das Blut überall in der Wohnung, und schließlich erinnerte sie sich an den Mann, den sie in der Dunkelheit gesehen hatte, und das gute Gefühl fühlte sich etwas weniger gut an.
    Sie stand auf und wusch sich in der Toilette, so gut es ging. Sie sah ihr Spiegelbild in dem fleckigen Spiegel, die immer noch glatte Haut, die großen, graugrünen Augen, die Haare von der Farbe einer polierten Kastanie. Alles so wie immer, selbst bei der schlechten Beleuchtung. Und wer rettet mir das Leben?, dachte sie fast heiter.
    Noch immer war genug von dem guten Gefühl übrig, um die Frage mit einem Luftkuss über die Schulter zu werfen und wegzugehen, ohne zurückzuschauen, aber als sie anderthalb Stunden später in der Rettungsstelle der Charité nach der Frau fragte, verschwand es auf einen Schlag ganz.

    Â»Es tut mir leid, Doktor Bach, wir haben keine Unterlagen über eine Patientin, auf die Ihre Angaben passen würden«, sagte der diensthabende Oberpfleger, nachdem er im Computer die Liste der in der vergangenen Nacht aufgenommenen Notfälle kontrolliert hatte.
    Es war wie ein heftiger Stoß, als wäre sie von einer Mauer gesprungen und hätte die Entfernung zum Boden falsch eingeschätzt: der Aufprall kam überraschend und so hart, dass er ihr durch den ganzen Körper bis ins Herz schoss und ihr einen Moment der Atem stockte. »Ist sie gestorben?«
    Der Oberpfleger schüttelte den Kopf. »Dann wäre sie unter den Abgängen der letzten Nacht aufgeführt. Hier nach wurde sie überhaupt nicht aufgenommen.«
    Einen Herzschlag lang blieb die Welt stehen, und danach setzte sie sich nur langsam wieder in Gang. Es war, als ob der Tag selbst flackerte, nicht nur das Licht. Ihr Pulsschlag war plötzlich lauter als alle anderen Geräusche, ein stumpfes, schnelles Hämmern. Im nächsten Augenblick war alles wie vorher: Schwestern, Ärzte, Pfleger und Patienten gingen über den Korridor, erschienen und verschwanden in Türen und Fahrstühlen, die mit einem leisen Ping! hielten . Irgendwo schrillte ein Telefon. Auf den Bänken und Stühlen der Notaufnahme saßen Männer, Frauen und ein paar Kinder, alle mit denselben verstörten Mienen, Angehörige der Opfer des Großfeuers. Sanitäter und Feuerwehrmänner kamen oder gingen, und manche hielten Clipboards in den Händen, die sie sich gegenseitig zeigten.
    Â»Ich habe sie selbst hier eingeliefert«, sagte Ella, »zusammen mit meinem Rettungsassistenten. Es war halb vier, hier ging alles drunter und drüber wegen des Feuers in der Disko, aber einer der Pfleger hat mir geholfen, sie hereinzubringen, und dann habe ich sie an einen Arzt übergeben – «
    Â»Das kann uns weiterhelfen«, sagte der Oberpfleger. »Wie lautete der Name des Arztes?«

    Â»Er hatte kein Namensschild«, sagte sie. »Da kamen gerade die ganzen Opfer des Brandes herein, Dutzende von

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