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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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und hielt sie sogar
kurz an, und plötzlich erkannte sie die Frau wieder: die Kerzenverkäuferin auf Mont Saint-Michel . Sie hatten ihr die Haare gefärbt und auf Ellas Länge gekürzt. Der Rest war Schminke, Chaos, Dunkelheit und der Overall, der die Figur verbarg.
    Lazare hielt den Blick unverwandt auf die Straße gerichtet. »Ich nehme an, Sie haben trotzdem einige Fragen«, sagte er. Er hatte Ella bisher nur einmal in die Augen gesehen, als er in dem Rettungswagen aus dem Halbdunkel hinter ihr aufgetaucht war. Danach hatten sie den Wagen gewechselt, und als sie etwas später auf einem Parkplatz gehalten hatten, um die Schusswunde in Augenschein zu nehmen und zu versorgen, war Lazare ausgestiegen, damit Ella sich unbeobachtet fühlen konnte.
    Es war nur ein Streifschuss, aber er hatte stark geblutet. Mit Annikas Hilfe hatte Ella die Blutung gestoppt, die Wunde desinfiziert, und eigentlich hätte sie genäht werden müssen, aber das musste warten. Stattdessen hatte Ella einen Verband angelegt, den sie mit mehreren Streifen Leukoplast aus dem Notfallkoffer des Rettungswagens befestigt hatte. Als sie damit fertig war, hatte Lazare wieder seinen Platz an der Beifahrertür eingenommen. Ohne sie anzuschauen, hatte er sich erkundigt, ob sie fahren könne, und Ella hatte Ja gesagt.
    Jetzt fragte sie: »Für wen bilden Rochefort, Gladstone & Wentworth den Schutzwall? Wer gehört zu diesem sogenannten Konsortium? Was ist auf dem Datenstick? Wofür sind mein Freund Max und all die anderen gestorben?«
    Und Mado, vielleicht inzwischen auch Mado, dachte sie. Sie schaltete in einen höheren Gang. Ein Stechen schoss ihr von der Hüfte hoch bis unter die Achsel.
    Lazare antwortete nicht sofort. Im Halbdunkel des Führerhauses wirkte er müde und seltsam desorientiert, als fände er sich in der Welt außerhalb seines Privatjets nicht mehr zurecht. Auf allen Fotos und im Fernsehen hatte er einen silbergrauen Bart und schulterlanges, fast weißes Haar gehabt, die einen eleganten
Rahmen für seine scharf geschnittenen, aber immer noch jugendlich wirkenden Züge darstellten. Seine Augen waren wach und strahlend gewesen, dazu immer ein leicht ironisch lächelnder Mund. Nun war der Bart verschwunden, das Kinn wirkte schwächer, der Mund lächelte nicht mehr, die Augen hatten ihren Glanz verloren, und die Haare bildeten asymmetrische Büschel über den Ohren .
    Er ist genauso ein Opfer wie du, dachte sie; er ist auch auf der Flucht und wird mit dem Tod bedroht, genau wie du. Aber ihr Bild von ihm war nicht mehr dasselbe. Ein Makel war auf Raymond Lazare gefallen, gleich bei ihrer ersten Begegnung. Da saß ein Mann, der bereit war, einen Menschen in den Tod zu schicken, als reines Ablenkungsmanöver. Mit einem Telefonat hatte er dazu beigetragen, dass vielleicht noch jemand sein Leben verloren hatte. »Wofür sind all diese Leute gestorben?«, fragte sie noch einmal.
    Â»Es geht um Macht«, antwortete Lazare. »Um Macht und Geld.« Er blickte aus dem Fenster. »Um Europa. Vielleicht um die ganze Welt.« Er schwieg einen Moment, als müsste er sich selbst erinnern, was sich hinter diesen Worten verbarg. »Alles begann 2009 nach der großen Finanzkrise – als die Regierungen der USA und Europas zahllose Banken, die durch zügellose Spekulationen und abenteuerliche Investitionen an den Rand des Abgrunds geraten waren, mit Milliarden und Abermilliarden an Steuergeldern stützen mussten, weil sie bei ihrem Sturz die gesamte Wirtschaft mit sich gerissen hätten. Jeder von uns im Finanzwesen merkte, wie uns der Wind auf einmal ins Gesicht blies. Einem einstmals hoch angesehenen, seriösen Beruf haftete plötzlich der Ruch des Schäbigen an, des Gangstertums. Und man kann nicht einmal sagen zu Unrecht, denn im Grunde wurde uns nur die Maske heruntergerissen, die längst durchsichtig geworden war.«
    Seine Stimme war so leise, dass sie sich kaum gegen das Motorengeräusch
durchzusetzen vermochte. »Überall auf der Welt schlug die Stimmung der Menschen um in blanke Wut und kehrte sich gegen uns, und die Politiker, die bisher bei jeder Kungelei, bei allen Mauscheleien mit uns unter einer Decke gesteckt hatten, fachten diesen Zorn noch zusätzlich an, um von ihrer Mitschuld abzulenken. Am liebsten hätte man uns – meine Bank, Barclays, die Société Générale, die Deutsche Bank, die Grupo Santander, UBS, die

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