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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Einzeltäterin. Wenn sie mich nicht gleich an Ort und Stelle ausschalten. «
    Die Bäume verloren ihren Reiz für Lazare, und er wandte sich von dem Fenster ab und Ella zu. »Sie werden gar nicht da sein«, sagte er irritiert.
    Â»Das hat bisher noch niemanden gestört«, erwiderte sie. »Ich war nie da, wo einer der Morde geschah, die man mir in die Schuhe schiebt.«
    Â»Was ist noch auf dem Stick?«, fragte Annika jetzt. Ihre Augen waren noch immer geschlossen, aber sie hatte sich vorgebeugt und den Kopf leicht schräg geneigt, als versuche sie, ein kaum hörbares Geräusch zu orten. »Was außer der Aufnahme von dem Geheimtreffen des Konsortiums ist noch auf dem Stick?«
    Lazare starrte sie entgeistert an, antwortete aber nicht.
    Â»Es geht nämlich gar nicht mehr allein um die europäische Bankenmafia«, sagte Annika. Sie ließ ein paar Sekunden verstreichen, ehe sie weitersprach. »Es geht um die Chinesen.«
    Lazare zuckte zusammen, als hätte er einen Stromschlag erhalten. »Was wissen Sie von den Chinesen?«
    Annika lächelte, auf eine Art, wie Ella sie noch nie hatte lächeln sehen; sanft und unheimlich. »Die haben ebenfalls was mit dieser Kanzlei – Rochefort und so weiter – zu tun, oder? Und die Killer von Birnam Forrest Security brauchen sich deshalb auch nicht die geringste Zurückhaltung aufzuerlegen, weil
in China das Leben eines Dissidenten bekanntlich keinen allzu großen Wert hat.«
    Â»Woher wissen Sie das?«, fragte der Bankier.
    Annika öffnete die Augen. »Ach«, sagte sie, erleuchtet von chinesischer Weisheit. »Das Wissen hat viel mit dem Geld gemeinsam, vor allem eins – es schläft auch nicht. Es arbeitet die ganze Zeit. Und manchmal hat es sich schon wieder vermehrt, wenn man aufwacht.«
    Lazare beugte sich vor, um Ella anzusehen. »Sie irren sich, Madame Bach – ich lege es nicht darauf an, als Märtyrer in die Börsengeschichte einzugehen, und ich will auch nicht erschossen werden. Deshalb werde ich mit diesen Aufnahmen – « Er griff in die linke Brusttasche seines Parkas und erstarrte. Seine Hand verharrte einen Moment in der Tasche, dann zog er sie heraus. Nachdem er auch die zweite vordere Tasche durchsucht hatte, begann er, seine Brust abzuklopfen, danach alle anderen Taschen des Parkas, bevor er mit beiden Händen die Hosentaschen durchsuchte. Selbst im Dunkel des Führerhauses konnte Ella sehen, dass er wachsbleich geworden war. »Mon Dieu … merde … où est … ce n’est pas possible …?!«
    Â»Was haben Sie denn?«, fragte Ella.
    Â»Der Datenstick! Ich hatte ihn doch … als ich in Madrid ins Flugzeug gestiegen bin … er ist nicht mehr da!« Fassungslos starrte Lazare auf seine leeren Hände. »Ohne die Aufnahmen ist alles, was ich sage, nur eine Behauptung! Ohne Beweise sind es nur Behauptungen …«
    Ella nahm die rechte Hand vom Steuer und legte sie auf die Tasche, in der sie den Stick aufbewahrte. Sie spürte die Ausbuchtung unter dem Jeansstoff, den Druck auf ihren Schenkel. Einen Moment lang dachte sie daran, nichts zu sagen, den Stick zu behalten, vielleicht sogar wegzuwerfen, als könnte damit alles rückgängig gemacht werden, was seinetwegen geschehen
war. Vielleicht kann ich ihn gegen Mado tauschen, dachte sie, gegen ihr Leben.
    Aber dann waren alle anderen umsonst gestorben, alle, die seinetwegen den Tod gefunden hatten, angefangen mit Max. Kein Tauschhandel mit Verbrechern, dachte sie, und außerdem war sie des ganzen Versteckspielens, der dauernden Täuschungen und Lügen und Betrügereien überdrüssig. Sie schob die Hand in die Tasche, holte den Stick heraus und hielt ihn Lazare hin.
    Â»Das ist der Stick, den Sie Mado mitgegeben haben«, sagte sie. »Das Duplikat Ihres eigenen.« Sie hielt ihn noch eine Sekunde fest, als der Bankier schon danach gegriffen hatte. »Und gnade Ihnen Gott, wenn Madeleine Schneider Ihretwegen doch noch sterben muss.«

49
    Als sie Paris erreichten, regnete es wieder, aber die Dunkelheit verblasste bereits, und das letzte schwache Licht der Straßenlaternen über der Peripherique malte gelbe und rosa Tupfern in den Morgen. Das Wasser trommelte schwer auf den überfluteten Asphalt. Die Spitze des Eiffelturms verschwand in den tief hängenden Wolken; auch die Kuppel von Sacré Cœur blieb hinter dichtem Nebel verborgen. Die Scheiben

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