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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken.
    Â»Die Adresse«, Brunos Ruhe war unheimlich, »wir brauchen die Adresse – bitte! «
    Â»Die Adresse? Meine Adresse?«
    Â»Die Adresse der Wohnung, zu der wir den Arzt schicken sollen«, präzisierte Bruno. Wie konnte jemand so ruhig bleiben, wenn das Grauen fast aus dem Hörer kroch? »Helfen Sie uns, bitte.«
    Der Mann schien sich zu konzentrieren. »Ohnesorg – Benno-Ohnesorg-Straße – die Nummer weiß ich nicht, an der Ecke – ich glaube, Nummer 7 – «
    Â»Wissen Sie, wem die Wohnung gehört?« Jetzt flogen Brunos Finger über die Tastatur, Ella konnte es im Hintergrund hören, ganz schwach, wie er das Einsatzgebiet auf den Monitor holte und dann mit ihr und Max Kontakt aufnahm, während er gleichzeitig den Anrufer in der Leitung festzuhalten versuchte.
    Â»Ich weiß nicht – ich weiß nicht – «
    Â»Sagen Sie mir Ihren Namen, bitte. Wie heißen Sie?«
    Â»Ich muss jetzt Schluss machen«, der Anrufer wirkte plötzlich
erschöpft, wie ausgepumpt, »ganz oben – es ist die Wohnung ganz oben – ich glaube, sie schreit wieder – ich kann das Blut sehen, am Fenster – «
    Dann war die Verbindung plötzlich unterbrochen. Ella hörte noch, wie Bruno sagte: »Blitz für NAW 4305 von Florian Berlin, bitte kommen!« Pause. »NAW 43O5, meldet euch!«, bevor die Aufnahme zu Ende war. Sie nahm das Headset ab, und sofort schlenderte Bruno zu ihr zurück. Sie überließ ihm seinen Stuhl, auf den sie gesunken war, ohne es zu merken. »Es war doch Nacht«, murmelte sie. »Es war dunkel, überall waren Plastikplanen. Wie konnte er sehen, was in der Wohnung geschah? Als wir ankamen, gab es keinen Strom, es war stockfinster …«
    Â»Vielleicht ein Wetterleuchten – das Gewitter …«
    Â»Da war ein Aquarium«, überlegte Ella laut. »Zerbrochen auf dem Boden, überall Scherben und sterbende Fische. Vielleicht gab es einen Kampf – es wurde umgeworfen, und dabei hat es einen Kurzschluss verursacht. Sag mal, erscheint die Nummer des Anrufers nicht irgendwo hier auf dem Monitor, wenn jemand den Notruf wählt?«
    Bruno setzte sein Headset wieder auf. »Normalerweise schon. Das soll uns helfen, seine Adresse herauszufinden, falls er uns sie nicht mehr selbst sagen kann. Aber in diesem Fall war die Nummer wohl unterdrückt, sonst wäre sie hier aufgeführt.« Er tippte den Touchscreen an, um den laufenden Einsatz weiter zu überwachen. »Du bist übrigens nicht der Erste, der das fragt.«
    Â»Wer denn noch?«, fragte Ella, jäh wieder beunruhigt.
    Â»Jemand von der Polizei wollte vorbeikommen, um sich den Mitschnitt anzuhören, genau wie du, aber bis jetzt war er noch nicht da.«
    Â»Ein Hauptkommissar Kleist?«
    Â»Ich weiß nicht. Ich habe nicht selbst mit ihm gesprochen.«
    Â»Wann war das? Wann hat er angerufen?«

    Â»Irgendwann heute Abend.«
    Â»Diesen Mitschnitt von dem anonymen Anrufer – kann man den löschen, ganz zufällig, vielleicht aus Versehen?«
    Â»Ella, das ist nicht dein Ernst, oder?«
    Â»Doch. Danke. Nacht, Bruno.«
    Der Gang zur Kinderkrebsstation lag still und verwaist im schwachen Schein der Nachtbeleuchtung. Türen mit Milchglasfenstern schirmten die Station gegen den Rest des Krankenhauses ab, und als Ella sie aufstieß und in den Korridor dahinter schritt, hatte sie das Gefühl, eine Welt zu betreten, für die sie nicht gut genug war. Kinder, die krank waren; Kinder, die gegen den Tod kämpften; Kinder, die starben; tapfere Kinder, deren Mut ihr den Atem verschlug.
    Hinter dem Fenster am Ende des Korridors befand sich die andere Welt, aus der sie kam und in der es Tag wurde – ein heller, klarer Tag, der so tat, als wäre alles in Ordnung. Eine Schwester schob einen Rollwagen mit kleinen Frühstückstabletts von Tür zu Tür. Ella sagte: »Guten Morgen«, und die Schwester sagte auch »Guten Morgen«, und dann betrachtete sie Ella genauer und fragte: »Kann ich Ihnen helfen?«
    Ella hatte die letzten Stunden der Nacht in ihrem am Landwehrkanal geparkten Wagen verbracht, mit angezogenen Beinen über beide Vordersitze gebreitet, zu verstört, um schlafen zu können, und zu müde, um nicht immer wieder einzunicken. »Ich bin Doktor Bach«, sagte sie. »Ich möchte zu Jonas

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