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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Till.«
    Â»Zimmer 25 am Ende des Gangs«, sagte die Schwester.
    Ella wusste schon, in welchem Zimmer der Junge lag. Es hatte nicht sehr lange gedauert, seinen Namen herauszufinden. Sie hatte ihn dem diensthabenden Oberarzt beschrieben, sein Alter, sein Aussehen und den kahl rasierten Kopf des Tumorpatienten, der kurz vor der Operation stand. Nur dass in seinem Fall das Haar zwar abrasiert, der Eingriff aber verschoben worden
war, weil alle OPs, alle Chirurgen und alle Betten auf der Intensivstation für die Opfer des Diskofeuers benötigt worden waren.
    Ella klopfte und öffnete die Tür zu Zimmer 25. Von den drei Betten in dem halbdunklen Zimmer waren zwei belegt. In dem einen, gleich beim Fenster, zeichneten sich die Umrisse eines kleinen reglosen Körpers unter der bis über die Ohren hochgezogenen Decke ab. In dem anderen lag ein Junge mit dem Rücken zur Tür und starrte auf einen Gameboy, wie gebannt von den leise zirpenden Gestalten auf dem winzigen Bildschirm.
    Â»Hallo, Jonas«, sagte Ella.
    Der Junge antwortete nicht. Mit einer Hand betätigte er die Knöpfe des Videospiels, mit der anderen hielt er sich das rechte Auge zu. Seine Schulterblätter unter dem Nachthemd wirkten dünn wie Hühnerknochen. Der inzwischen wieder mit zartem Flaum bedeckte Schädel schimmerte im Licht der Leselampe über seinem Kopf.
    Â»Hallo, Jonas«, sagte Ella etwas lauter. Der Junge zuckte zusammen und wandte ihr das Gesicht zu. Noch immer hielt er sich das rechte Auge zu, aber das andere blickte klar und wach. »Oh, ich hab Sie gar nicht gehört. Meine Ohren – ich höre ganz schlecht.«
    Â»Ich weiß«, sagte Ella. »Deswegen bist du ja hier.«
    Â»Ich bin hier, weil ich einen Tumor im Kopf habe«, sagte der Junge.
    Ella nickte und setzte sich zu ihm auf die Bettkante. »Hat man dir erklärt, was ein Tumor ist?«, fragte sie.
    Â»Etwas, das einen von innen auffrisst wie ein Alien, obwohl man noch lebt.« Der Junge nahm die Hand vom Gesicht, um den Gameboy auszuschalten.
    Ella betrachtete das rechte Auge, das so verdreht war, dass es fast ins Schädelinnere zu starren schien. »Hast du Schmerzen? Tut dir der Kopf weh?«

    Â»Nein.«
    Ella widerstand der Versuchung, ihm mit der Hand über den Kopf zu streichen. »Weißt du, der Tumor frisst dich nicht auf, aber er drückt auf dein Gehirn, deswegen hörst du schlecht und siehst alles doppelt, wenn du dir das Auge nicht zuhältst. Nach der Operation ist es damit vorbei.«
    Â»Gut.« Der Junge bedeckte das schielende Auge wieder mit seiner kleinen Hand.
    Â»Und du hast auch keine Angst vor dem Eingriff?«
    Â»Nein.« Er zögerte, biss sich auf die Unterlippe. »Außer wenn das Alien sich wehrt und nicht rauswill. Dass es dann vielleicht wehtut.« Ein heller, besorgter Blick suchte Ellas Augen. »Sind Sie Ärztin?«
    Â»Ja. Ich heiße übrigens Ella.«
    Â»Haben Sie manchmal Angst?«
    Â»Manchmal. Jetzt, zum Beispiel, habe ich gerade ein bisschen Angst um eine Patientin von mir.«
    Â»Was ist denn mit der Patientin?«
    Â»Sie ist verschwunden.«
    Das gesunde Auge wurde größer. »Einfach so?«
    Â»Das weiß ich eben nicht«, erklärte Ella. »Ich dachte, du könntest mir vielleicht helfen, sie wiederzufinden. Erinnerst du dich noch an vorgestern Nacht, als hier so viel los war? Ich habe dich im Fahrstuhl gesehen.«
    Â»Ja, ich bin ein bisschen rauf und runter gefahren. Ich konnte nicht schlafen, wegen – wegen dem Tumor und weil sie mir alle Haare abrasiert haben, und auf einmal kamen die ganzen Krankenwagen, und ich wollte mal nachschauen.«
    Â»Erinnerst du dich auch noch an die Frau, die der Arzt auf einer Trage in den Fahrstuhl geschoben hat? Du warst erst allein, und dann ist er mit der Frau zu dir in den Lift gestiegen, der Frau ging es sehr schlecht – «
    Â»Ja, sie hat gestöhnt und geblutet«, rief Jonas, »und ich habe
den Doktor gefragt, was sie hat, aber er hat nicht geantwortet. Wir sind runtergefahren – «
    Â»Runter?«
    Â»Ja, in den Keller. Es war richtig unheimlich, wie bei Dungeons & Dragons . Der böse Zauberer in dem grünen Kittel hat die ganze Zeit so getan, als wäre ich gar nicht da, aber als wir gehalten haben, hat er mich plötzlich ganz komisch angesehen und so gemacht – « Jonas legte einen Zeigefinger an die Lippen, Pssst! , und fuhr sich mit

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