Erlosung
Conradi, Patentanwälte â anzurufen, aber er war auch diesmal in einer Besprechung. Ella hatte ihn im Lauf des Tages wiederholt zu erreichen versucht, ohne zu sagen, wer sie war oder was sie wollte, und jedes Mal war er in einer Besprechung mit einem Mandanten gewesen.
Sie kauften eine Pizza mit Anchovis und eine mit Käse und Spinat. Danach gingen sie zurück in ihr Zimmer, wo Dany eine halbe Pizza aÃ, während Ella weiter die Ãberwachungsbänder ansah, ehe sie ihm die Kopfhörer überlieÃ. Nach ein paar Minuten sagte er plötzlich: »Sieh dir das mal an.«
Es waren die Bilder des Augenblicks, in dem die Angst in Mados Leben trat.
Datum und Uhrzeit unten links in der Ecke des Monitors verrieten, dass die Aufzeichnung vom frühen Donnerstagnachmittag vergangener Woche stammte, nur einen Tag vor dem Ãberfall. Das Gebäude war jetzt mit den Plastikplanen verkleidet, aber ein Teil der Plane hing bereits herunter und schlug im schwachen Wind hin und her, genau vor dem groÃen Fenster.
Danys Schwester wirkte anders als vorher, nervöser, besorgt. Sie ging unruhig auf und ab, mit gesenktem Kopf, beide Hände in die GesäÃtaschen ihrer Jeans geschoben. Manchmal blieb sie abrupt stehen und schien auf einen weit entfernten Punkt zu starren. Dann schüttelte sie jäh den Kopf, warf ihn in den Nacken wie ein scheuendes Pferd.
Ella beugte sich über Danys Schulter.
Er sagte: »Sie ist eben erst ins Zimmer gekommen, hat ein Buch auf den Schreibtisch gelegt, und dann hat das Telefon geklingelt, aber sie ist nicht drangegangen. Sie hat es nur angestarrt,
als wäre es ein Skorpion oder so was. Es hat ein paarmal geklingelt, und danach ist sie dann so gewesen.«
Mado hörte auf, hin und her zu gehen und setzte sich an den Schreibtisch. Einen Moment lang saà sie reglos vor ihrem Laptop, schien sich zu konzentrieren.
»Kann ich mal die Kopfhörer haben?«, bat Ella.
Dany reichte ihr die Kopfhörer, und sie setzte sie auf und rutschte neben ihn auf die Bettkante. Auf dem Monitor öffnete Mado jetzt eine Schublade und nahm ein gefüttertes Kuvert heraus, groà genug, um ein Taschenbuch oder eine DVD hineinzustecken. Danach beschriftete sie den Umschlag mit einem Filzstift in groÃen energischen Buchstaben. Ella drückte die Pausetaste, um die Adresse lesen zu können: Dr. Randolph Freyermuth, Kurfürstendamm, Berlin, keine Hausnummer, keine Postleitzahl.
Mado klappte den Deckel ihres Laptops auf und schob eine Disc in den Schlitz an der Seite. Sie schloss die Augen, schien sich zu konzentrieren. Ihre Lippen hatten alle Farbe verloren. Endlich gab sie sich einen Ruck und sagte: »Mein Name ist Madeleine Schneider. Wenn Sie dies hören oder sehen, bin ich wahrscheinlich tot. Jemand ist mir den ganzen Tag gefolgt. Ich glaube, er hat auch das Haus beobachtet. Ich habe Angst. Vor einer Stunde hat Raymond angerufen. Er hat gesagt, dass ich in Gefahr bin. Ich soll auf der Hut sein, falls jemand von einer Anwaltskanzlei namens Rochefort, Gladstone & Wentworth bei mir auftaucht, unter welchem Vorwand auch immer. Raymond sagte, die würden vor nichts zurückschrecken. Ich solle untertauchen, bis er an die Ãffentlichkeit gegangen ist. Er hat gesagt, dass es ihm leidtut, furchtbar leid. Und dann habe ich unten den Mann gesehen, und jetzt habe ich Angst. Ich weià nicht, wer die sind und was sie vorhaben, nur dass es sie gibt und dass Raymond bis vor Kurzem â bis zu dem Treffen mit mir â einer von ihnen war, das hat er mir heute gestanden. Und
dass etwas in der Weinflasche war, die ich Professor Forell mitgebracht habe, eine Aufnahme, die alles enthüllt â¦Â«
Sie schluckte, und Ella glaubte zu erkennen, dass Mado kurz davorstand, zusammenzubrechen. »Ich wollte doch nur wissen, wer sie umgebracht hat â meine UrgroÃeltern â, und jetzt ⦠jetzt stecke ich auf einmal mitten ⦠mitten in etwas, das ich nicht verstehe â «
»O Gott«, flüsterte Ella
»Was ist? Was sagt sie?«, fragte Dany.
Ella antwortete nicht. Sie fühlte, dass sie dem Geheimnis jetzt ganz nah war. Dem Rätsel von Mados Entführung. Dem Grund, aus dem Max sterben musste. Es kam ihr vor, als verdunkelte sich das Hotelzimmer rings um den Monitor des iBooks. Er wurde zu dem Fenster, durch das sie Mado beobachtete. Sie war in dem von bläulichem Zwielicht erfüllten Penthouse bei ihr, spürte ihre Angst
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